Der Riesling – Ein Porträt

Riesling-Porträt

Teil 1 der Reihe “Rebsortenporträts”

Der Mittelrhein ist Weinregion – das erfährt man spätestens, wenn man bei einem Besuch zwischen Koblenz und Bingen weit und breit nur Weinberge sieht. Typisch für den Mittelrhein sind Riesling, Spätburgunder, Müller-Thurgau und Weißburgunder. In dieser Beitrags-Reihe möchte ich diese charakteristischen Rebsorten mal etwas anders vorstellen: als Persönlichkeiten. Den Anfang macht – wie sollte es anders sein – der Riesling.

Ich treffe Herrn Wolfshöhle-Auslese zur besten Feierabendzeit, an einem Freitag um 17:30 Uhr. Der Ort unseres Treffens könnte geschmackvoller kaum sein: eine elegante, schlanke Holz-Bar in Schwarz und Naturtönen, in deren rückwändigem Spiegel man sich selbst in vorteilhaftestem Licht bewundern kann. Mein Gesprächspartner lässt nicht lange auf sich warten. Ein kurzer Plausch mit einigen seiner sehr aufgeschlossenen, lebhaften Brüder, da streckt er mir in einer schwungvollen Halbdrehung plötzlich die Hand entgegen. „Wolfshöhle-Auslese. Schön, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben“, sagt er freundlich. „Nichts lieber als das. Ich interessiere mich schon lange für Sie.“

Elegant setzt er sich ins Glas, macht eine schlanke, agile Figur dabei – selbstbewusst ist er, das sieht und riecht man sofort. Apfel und Nektarine, exotische Frucht und eine leicht kräuterige Note. Ein heller Typ – dabei aber keineswegs blass, im Gegenteil: sein goldgelber Teint sieht ziemlich gesund aus. Wolfshöhle-Auslese von 2019 gehört (abgesehen natürlich von diversen Ur-Ur-Urgroßvätern im Weinkeller) zu den reiferen Semestern, die hier auf Gut Ratzenberger gerade im Verkauf sind. Und das steht ihm gut. Qualitätsrieslinge werden besser mit dem Alter – Typ George Clooney. Und dafür muss man sie einfach bewundern. Er bemerkt meinen Blick, lächelt wissend und zwinkert. Frechheit. Bescheiden ist er nicht gerade. Grinsen muss ich trotzdem.

Riesling-Porträt

Wie ein offenes Buch

Viel fragen muss ich nicht. Treffen sich Riesling und Geschmacksknospe, ergreift der Riesling schnell das Wort, er erzählt viel und gern. Wo er aufgewachsen ist, wie das Wetter in seiner Jugend war, dass er lange nicht erwachsen werden wollte, ein Herbstliebhaber ist, wie lange er bis zur Matura gebraucht hat. Ein offenes Buch – aber ein äußerst interessantes. Obwohl es in diesem Gespräch nur um ihn geht, schafft er es, der Unterhaltung Tiefgang zu geben.

Natürlich, ein Angeber ist er. Aber ein ausnehmend sympathischer. Durch den Vorhang seiner eingangs süßlichen Art tritt bald eine amüsierte Säure, die in unserem Gespräch immer wieder aufblitzen wird und die so typisch ist für seine Familie.

Er sei wenig anspruchsvoll, steigt er in die Unterhaltung ein, finde auch kärgste Böden gemütlich, ziehe gar seine Persönlichkeit aus seinem Aufwachsen auf schroffem Schiefer: „Ich finde, das lässt den Charakter wachsen. Meinen Sie nicht auch?“ Von satten, dicken Betten hält er nichts. „Ich bin da vielleicht oldschool. Meine Familie ist groß, und es gibt auch Teile anderswo, die auf Lehm- oder Lössböden großgeworden sind. Die sind nett, keine Frage. Aber ihnen fehlt es an Lebenserfahrung, die haben keine Ecken und Kanten. Außerdem“, sagt er und schmunzelt einnehmend, „hat man von den steinigsten Bergen doch immer die schönste Aussicht.“ Und da muss ich ihm recht geben.

Ganz so edgy wie er tut, ist der Riesling allerdings nicht in allen Bereichen seines Alltags. Der Wohnraum mag ihm einigermaßen egal sein, die Lage sollte dann aber doch stimmen. Gerne viel Sonne, aber nicht zu heiß. „Was die Lage betrifft, sind wir Rieslinge tatsächlich empfindlich und werden ziemlich schnell krank, wenn da etwas nicht passt“, gibt er zu. „Am Ende des Tages sind wir aber dankbare Charaktere. Ich lebe nach der Devise: Geben und Geben. Solange man mich wertschätzt, bemühe ich mich, meinen Teil beizutragen, damit am Ende etwas Gutes herauskommt.“

Interessiert beobachte ich ihn beim Erzählen leicht hin- und her wogen. Während er spielerisch gestikuliert, strömt immer wieder ein Wölkchen seines markanten Duftes in meiner Nase. Ich kann nicht leugnen, dass ich seinem Charme hoffnungslos erlegen bin. Und ich glaube, das weiß er genau.

Familie Riesling: Vorbilder und Gestaltwandler

Die Vorfahren der Riesling-Familie stammen aus Italien und vom Oberrhein. Er sei sich nicht ganz sicher, meine aber sich zu erinnern, dass die Dynastie mit einer Liebschaft zwischen einer oberrheinischen Wildrebe und römischen Traminer-Reben begonnen habe. Gesichert sei, dass die Familie Riesling seit 1435 existiert, denn da habe man auf einer Rechnung des Kellermeisters Klaus Kleinfisch vom 13. März den Ankauf neuer Weißweinreben namens Riesling angegeben. Seither feiern Rieslings an diesem Tag Familiengeburtstag.

Heute hat er Verwandte im Rheingau und in Rheinhessen, an der Mosel und der Nahe, in der Pfalz, in Baden und Württemberg. Einige sind gar ausgewandert nach Frankreich, Luxemburg, Australien, Neuseeland, in die Republik Moldau und die USA. Von der Riesling-Dynastie stammen außerdem weitere bekannte Wein-Familien ab – Müller-Thurgau, Kerner und Scheurebe etwa sind Abkömmlinge des Riesling-Stamms.

Fast alle lassen sich zum Wein ausbilden. Einige Familienmitglieder schlagen jedoch auch alternative Kelterungswege ein und gehen den Weg der Versektung bis hin zum Crémant. „Ich finde das toll und bin sehr stolz. Sie machen sich wahnsinnig gut, und ihre Qualität im Schaumweinsegment spricht sich herum“, sagt Wolfshöhle-Auslese. „Wir können in verschiedensten Disziplinen glänzen. Ich freue mich, zu einer so vielseitigen Familie zu gehören.“

Wolfshöhle-Auslese wird still. Er hat viel geredet. Ich frage mich, wie mir mein Gesprächspartner begegnet wäre, wenn er auch schon das Methusalem’sches Alter einiger seiner Ur-Ahnen erreicht hätte. Vielleicht darf ich das eines Tages herausfinden – aber für heute wollen wir es bei einem Glas belassen.


INFO:
Modell gestanden für diesen Text haben verschiedene Rieslinge vom Weingut Ratzenberger in Bacharach. Als Protagonisten für diesen Text habe ich die Wolfshöhle Auslese von 2019 gewählt, der mit einem überraschenden Auftritt der Säure auf einer Bühne der fruchtigen Süße daherkommt.

Vielen Dank an Jochen Ratzenberger für die viele Zeit zum Fachsimpeln über die Qualitäten des Rieslings, für das viele Wissen, dass Du mit mir geteilt hast und die Einblicke in das Leben und Arbeiten in den Weinbergen!

Über Ratzenberger:
Das Weingut Ratzenberger wird in dritter Generation geführt von Jochen Ratzenberger. Angefangen mit 2 ha in den 50er Jahren, bewirtschaftet die Familie heute rund 20 ha Rebfläche. Ratzenbergers gehören seit vielen Jahren dem Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP), seit 2011 ist Jochen Ratzenberger Vorsitzender des VDP Mittelrhein. Spezialisiert ist das international renommierte Weingut auf Anbau und Verarbeitung hochklassiger Rieslinge.

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