Rund 10.500 Weinbaubetriebe gibt es in Deutschland. Knapp 200 davon kennzeichnen ihre Weine mit einem markanten Adler auf der Kapsel. Sie gehören dem VDP – Verband Deutscher Prädikatsweingüter an, einer Vereinigung für Deutsche Top-Winzer*innen. Ein erlesener Club also, der sich selbst spezielle Standards gesetzt und ein herkunftsbezogenes Bewertungssystem für Qualitätsweine entwickelt hat, das zusätzlich zu der durch das Deutsche Weingesetz vorgeschriebenen Klassifikation nach Mostgewicht greift.
Ein Blick zurück: Woher kommt der VDP?
Der VDP ist eine Weiterentwicklung des 1910 gegründeten VDN (Verband Deutscher Naturweinversteigerer). Um eine gerechtere Vermarktung und gehobene Qualitätsstandards gemeinsam zu gestalten, schlossen sich damals vier Regionalvereine aus der Rheinpfalz, dem Rheingau, der Mosel und Rheinhessen zusammen. Sie wollten gemeinsam der seinerzeit üblichen Zuckerung des Weines abschwören, eine gemeinschaftliche Öffentlichkeitsarbeit aufbauen und ihre naturbelassenen Produkte organisiert bei Versteigerungen anbieten.
In den 70er Jahren wurde der VDP zu einem Verband besonderer Weingüter. Von Weinversteigerungen wurde der Fokus auf die Imagepflege deutschen Weins und eine neue Definition besonderer Qualitätsstandards gelegt. Ab den 90ern zähle dazu auch das naturnahe Wirtschaften im Weinberg.
Güteklassen: Aller guten Dinge sind vier
Unterschieden wird beim VDP in die Güteklassen „Gutswein“ (kommt ausschließlich aus gutseigenen Weinbergen), „Ortswein“ (kommt von den besten Weinbergen innerhalb eines Ortes), „VDP.Erste Lage“ (stammt aus klar abgegrenzten Lagen, überzeugt mit einem markant und langlebigen, eigenständigen Profil) und „VDP.GROSSE LAGE“ (die Wein-Stars eines Weinguts, die eine ganze Reihe Kriterien erfüllen müssen – beispielsweise deutliche Ertragsreduktion, beste Lage, selektiv von Hand geerntet).
VDP-Winzer verpflichten sich, ihre Weinberge umweltschonend zu bewirtschaften, 80 Prozent ihres Anbaus gebietstypischen Rebsorten zu widmen, maximal 75 Hektoliter Wein pro Hektar zu produzieren (je höher die Qualitätsstufe, desto weniger), mindestens die Weine ihrer ERSTEN und GROSSEN LAGE sowie Eis- und Ausleseweine von Hand zu lesen und keine Großlagenbezeichnungen zu verwenden.
Mitgliedschaften erfolgen ausschließlich auf Einladung. Und eingeladen wird nur, wer mit Spitzenprodukten über mehrere Jahre nationale und internationale Aufmerksamkeit erlangt hat. Der VDP bewertet außerdem die Güteklasse der Lagen und erwartet eine hauptberufliche Bewirtschaftung des Weinguts, das sich auch in der Außendarstellung professionell präsentieren muss. Regelmäßige Betriebsprüfungen sichern die Einhaltung der Qualitätsstandards.
Am Mittelrhein gehören nur vier Weingüter dem VDP an – Lanius Knab in Oberwesel, Matthias Müller in Spay und die beiden Gründungsbetriebe Toni Jost und Ratzenberger in Bacharach, die 1987 die Ortsgruppe VDP-Mittelrhein mit ins Leben gerufen haben.
Cecilia Jost:
Wenn Cecilia Jost über ihre Weine spricht, klingt das, als würde sie ein Gedicht vortragen. So bedacht wählt sie ihre Worte, als wäre jedes Teil eines Blumengestecks, das sie zur vollendeten Wirkung komponieren möchte. Nur manchmal zieht sie eine Phrase wieder heraus, um sie durch eine andere, passendere Floskel/Vokabel zu ersetzen. „Wein ist Poesie in Flaschen“, soll Robert Louis Stevenson doch mal gesagt haben. Es würde mich nicht wundern, wenn beim Öffnen einer Flasche Toni Jost auch die ein oder andere lyrische Zeile vom Duft aus der Flasche getragen würde.
Die 39-jährige strahlt eine große Bewusstheit aus einen Anspruch an sich und ihre Arbeit an ihr Produkt, aber gleichzeitig auch eine Wärme und Herzlichkeit aus. Sie weiß, dass sie Genuss produziert und für den steht sie mit Haut und Haar. Wir treffen uns in der urigen, holzvertäfelten Weinstube des Betriebs, im Herzen Bacharachs.
Hauptsache Herkunft: Das GROSSE GEWÄCHS als Vorzeigewein
„Man kann beim Weinbau alles austauschen, nur nicht den Boden, auf dem der Wein wächst. Und um diesen Boden erlebbar und die Herkunft des Weines schmeckbar zu machen, dafür arbeiten wir“, erklärt sie. Cecilia führt den Familienbetrieb Toni Jost in siebter Generation. Vor wenigen Monaten wurde sie vom Gault&Millau als Top-Jungwinzerin ausgezeichnet.
„Das GROSSE GEWÄCHS soll der beste trockene Wein sein, der das Weingut und vor allen Dingen die Herkunft repräsentiert. Und ein GROSSEs GEWÄCHS beginnt immer im Weinberg. Wenn wir einen solchen Wein produzieren möchten, treffen wir uns im Sommer im VDP-Kollegenkreis, gehen durch die besten Parzellen und schauen, ob der Weinberg wirklich dafür geeignet ist, ein GROSSE GEWÄCHS hervorzubringen. Jedes Jahr auf Neue“, erklärt sie.
Lage und Pflegezustand müssen optimal sein. Und das bedeutet nicht nur, dem deutschen Weingesetz Genüge zu tun. VDP-Betriebe müssen bodenschonend arbeiten, die Rebzeilen sollen mit natürlicher Begrünung insektenfreundlich bleiben. Zudem müssen die Weinberge ertragsreduziert werden.
„So, wie man die Soße fürs Essen einreduziert, um mehr Geschmack herauszuholen, so reduzieren wir auch die Trauben im Weinberg. Die kochen wir natürlich nicht“, sagt Cecilia Jost und grinst. „sondern halbieren sie im Sommer in der Länge. So bekommen die verbleibenden Trauben wesentlich mehr Nährstoffe, können also mehr Geschmack und Charakter ausbilden. Man nennt das grüne Lese. Das sorgt auch dafür, dass die Traube den Reiz bekommt, sich mehr in die Länge zu strecken. Die einzelnen Beeren quetschen sich nicht gegenseitig ab, faulen weniger und bieten dadurch eine perfekte Möglichkeit, um länger mit der Ernte zu warten.“
Um die Tauglichkeitsprüfung zum GROSSEN GEWÄCHS abzuschließen, wird eine gemeinsame Probe der letzten zehn bis zwanzig Jahrgänge durchgeführt, die sicherstellen soll, dass der betreffende Weinberg konstant, auch in den weniger guten Jahrgängen, mit einer besonderen Qualität hervorsticht.
Jeder Region ihre Premiumreben: Welcher Wein am Mittelrhein zum GROSSEN GEWÄCHS werden darf
Nicht jeder Wein darf in jedem Anbaugebiet als VDP.GROSSES GEWÄCHS produziert werden. Das wiederum richtet sich nach der Tradition der Anbaugebiete. „Ein Weißburgunder zum Beispiel wird hier am Mittelrhein zwar gut, aber nie so wunderbar gelingen wie ein Weißburgunder aus Nordbaden“, sagt Cecilia. „Hier eignen sich Spätburgunder und Riesling besonders gut dafür, Herkunft zu zeigen.“
Weingut Ratzenberger:
Wer Mittelrhein-Riesling genießen möchte, kommt an Jochen Ratzenberger nicht vorbei. Die schnelle Google-Suche ebenso wie mündliche Empfehlungen führen geradewegs nach Bacharach-Steeg, wo das gleichnamige Gut seinen Sitz hat. Ein eindrucksvolles Winzerhaus, hinter dem sich unmittelbar die Steillagen der St. Jost-Lage gen Himmel strecken.
Jochen Ratzenberger steht in Nachfolge seines Vaters dem VDP Mittelrhein vor. „Wir waren damals in London auf einer Weinmesse. Da hat uns der VDP angesprochen, ob wir Interesse hätten, einen mittelrheinischen Verband zu gründen“, erinnert er sich an die Geburtsstunde des VDP Mittelrhein.
Irgendwo muss dieser Mann einen geheimen Quell der Energie besitzen. Oder aber: Es reicht die pure Überzeugung aus, ihn zu einem solchen Energiebündel zu machen. Lachfältchen um die Augen, schnelle, routinierte Bewegungen, tausendundeins Anekdoten über die Region, die Kelten, die Römer, den Riesling, die Querterrassierung, die Jagd, die Weinvermarktung. Er erzählt gerne von seiner Arbeit – und schafft es, wie nebenbei, noch eine Weinverkostung mit mir abzuhalten.
Die Extrameile Engagement: Für internationales Renommée
In seiner Funktion als Vorsitzender des VDP Mittelrhein und Vorstandsmitglied des VDP Deutschland verbringt er rund zwei Wochen im Jahr auf Vorstandssitzungen, Mitgliederversammlungen und Klausurtagungen und führt die gemeinsame Evaluation der Weine mit den anderen drei Mittelrhein-VDPlern durch. „Wir sind schon kritisch miteinander. Ich finde, man sollte informiert sein über seine Mitglieder, über seine Region. Das ist auch sehr, sehr hilfreich in der Außendarstellung. Und wir nehmen das ziemlich ernst – auch, wenn von außen Kritik an uns herangetragen wird.“
Der lange Atem des VDP hat sich insgesamt gelohnt. Selbst viele Wein-Laien kennen den Trauben-Adler inzwischen als Qualitätsmerkmal. Und im Ausland seien VDP-Weine für Deutschland marktführend, sagt Jochen. Eine Bestätigung seiner Behauptung folgt wie bestellt. Als sich unsere Weinprobe gerade dem Ende zuneigt (Herrn Wolfshöhle-Auslese habe ich zu diesem Zeitpunkt schon kennengelernt), spazieren plötzlich drei Herren in den Verkostungsraum. Sie seien aus Norwegen beziehungsweise Schottland, erklärt einer von ihnen. In Oslo würden sie in den Top-Restaurants immer Riesling von Ratzenberger trinken, allerdings gebe es dort nur den trockenen. Nun wollten sie unheimlich gerne mal etwas Feinherbes probieren.
Ratzenberger ist ein Gastgeber wie er im Buche steht. Das laute, ansteckende Lachen knallt wie ein Korken aus ihm heraus: Natürlich können sie probieren – sofern ich einverstanden sei. Das bin ich natürlich. Internationaler Besuch sei nichts Ungewöhnliches, erzählt der Gastgeber später.
Austausch und persönliches Wachstum: Der VDP als Netzwerkverband
Doch nicht nur das internationale Renommée, auch der Austausch innerhalb des VDP-Netzwerks ein Vorteil an der Arbeit im Verband. „Du bekommst, gerade in der Vorstandsfunktion, wie ich sie habe, alles unmittelbar mit. Jede Entwicklung in der Branche. Da bekommt man auch viel Inspiration. Wann immer ich eine Frage habe, kann ich jeden Kollegen anrufen und umgekehrt. Wir sprechen natürlich auch abseits der Tagesordnung über alle möglichen Dinge. Da kannst du auch deinen gedanklichen Horizont weiterentwickeln, statt nur zu Hause zu hocken und zu gucken, was deine Nachbarn machen“, findet Jochen.
Dabei ist er alles andere als ein Heimatmuffel. Ich würde sogar behaupten, Jochen Ratzenberger gehört zu den mittelrheinverbundensten Menschen, die mir hier begegnet sind. „Das ist eine Region mit unvorstellbaren Charisma, Steillagen, Geschichte, Weltkulturerbe!“, sagt der Familienvater mit leuchtenden Augen.
Gerade deshalb sei es ihm wichtig, wertige Weine zu vernünftigen Preisen zu verkaufen. „Jeder, der von Außerhalb kommt, der diese Steillagen sieht, versteht es, wenn eine Flasche hier 15 bis 20 Euro kostet. Es gibt Regionen, da ist das schon mehr im allgemeinen Verständnis angekommen als bei uns. Hier fehlt vielen der Mut, ihr Produkt zu angemessenen Preisen zu verkaufen.“ Was übrigens auch ein Ausschlusskriterium für den VDP ist – Preisdumping wird dort nicht gestattet.
Ob es einem den Aufpreis wert ist, liegt im Auge des Betrachters. Fest steht aber, dass es eine große Zielgruppe gibt, die Wert auf Weinqualität legt. Und, dass es sich – wie im Ökoweinbau – lohnt, mehr zu Investieren als das Gesetz es verlangt, um diese Qualität zu erzeugen. Herkunft schmeckbar zu machen, das geht nur mit einer Extrameile Engagement, zurückgelegt auf bis zu 60 Prozent Steigung – und die dürfen sich Winzer*innen auch gerne bezahlen lassen.