„Wandern kann sein, Einkehren muss.“

– Wie ich den Rheinromantischen Liedermacher Friedemann Mosler kennen lernte

Das Erste, an was ich mich erinnere, wenn ich an Friedemann Mosler denke, ist sein Notizbüchlein, in welchem nicht nur Gedanken, Telefonnummern und Adressen Platz finden, sondern auch die Öffnungszeiten von Restaurants: seinen Ausflugszielen zum Wandern. Fasziniert schaue ich zu, wie er in seinem Büchlein blättert und realisiere erfreut, dass auch 2023 nicht alle Menschen digitalisiert leben. Es fühlt sich mittlerweile tatsächlich fremd und weit weg für mich an. – 

Doktor Friedemann Mosler hatte sich Anfang August bei Familie Hecher, den Pächtern der Burg Sooneck, gemeldet und nach meiner Telefonnummer gefragt. Er wollte mich gern auf Burg Sooneck treffen. Unsere Terminfindung gestaltete sich dann gar nicht so einfach, denn Herr Mosler ist viel beschäftigt. Schließlich verabredeten wir uns für den 11. August. Er wollte den Kuchen mitbringen, um mir keine Umstände zu bereiten. Da ich vom Ministertreffen noch zwei Stück Zwetschgenkuchen über hatte und Herr Mosler auch einen Zwetschgenkuchen vom Bäcker mitbrachte, konnten wir gleich mit einem Kuchenvergleich starten. Unser Gespräch wanderte aber zügig weg vom Zwetschgenkuchen. Als Friedemann Mosler hört, dass ich aus Weimar stamme, fällt ihm sofort Schillers Text „An die Freunde“ ein. „Nicht an die Freude, an die Freunde. Viele wissen nicht, dass in diesem Gedicht die Zeile Auf den Brettern, die die Welt bedeuten vorkommt.“ Stimmt, ich hatte es auch nicht gewusst, trotz Germanistikstudiums.

Es braucht nur ein paar Worte, schon fällt Friedemann Mosler ein Gedicht oder ein Zitat ein, was er sogleich rezitiert. Ich fühle mich wie in Dumbledores Denkarium und frage mich, an was sich dieser Mensch wohl nicht erinnern kann?

Selbst beschreibt er sich als Rheinromantischen Liedermacher, wobei er mir erzählt, dass er für diese Bezeichnung einmal ziemliche Kritik bekam, da nur Liedermacher wie Wolf Biermann, die politisch texten, so bezeichnet werden könnten. Den Begriff SingerSongwriter aus dem Englischen finde er aber so doppelnd unschön. 

Mitten im Gespräch frage ich Herrn Mosler behutsam, ob ich mir Notizen machen darf. – Ich hatte an ein Kaffeetrinken zum Kennenlernen gedacht, aber nun fand ich mich in einer faszinierenden Autobiografie wieder. –

„Ich habe mich schon selber überlebt“, lacht Friedemann Mosler, als ich ihn nach seinem Alter frage. Er ist 1932 im Riesengebirge, damaliges Sudetenland, geboren. Ich könne sein Alter gern verschweigen, meinte er dann vor ein paar Tagen. Nun vielleicht ist das auf diese Weise ein Kompromiss, Herr Mosler? Schließlich verraten die geschichtlichen Umstände doch so Einiges. Friedemann Mosler beschreibt, wie er in Tschechien deutsch/österreichisch aufgewachsen ist und 1946 ausgewiesen wurde. „Ausgewiesen, nicht geflüchtet!“ Mit 14 Jahren wurde er in einen geschlossenen Güterwagen mit Mutter und Schwester verfrachtet und wusste nicht, wohin die Reise gehen wird. Sie führte nach Rotenburg an der Fulda. „Immerhin ein Mittelgebirge!“ Trotzdem vermisste er das Riesengebirge sehr. Er erzählt mir vom Gipfelglück und wie er als 6-Jähriger im Kiosk seines Opas, der im 1. Weltkrieg sein Bein amputiert bekam, aushalf. Die anderen sammelten die Bildchen der Zigarettenschachteln für ihn.

Auf einmal sind wir gedanklich in Assmannshausen und Herr Mosler übergibt mir eine Flasche Rotwein, die aus seinen vier Reihen Weinreben gekeltert wurde. Um zu verstehen, wie Friedemann Mosler nach Assmannshausen kam, braucht es die wichtigste Weggefährtin seines Lebens: seine Frau Hella Mosler – 1930 in Assmannshausen geboren. Sie hatten sich beim Musizieren kennen gelernt und viele Male den Wein gemeinsam besungen. Mit der Kinderkrankenschwester war Mosler 65 Jahre verheiratet und hat drei Kinder groß gezogen. Hella Mosler ist vor zwei Jahren dahin gedämmert. Herr Mosler zeigt mir Fotos von ihr. Seine Trauer ist spürbar, aber die schönen Erinnerungen und seine Lebensfreude überwiegen. 

Er gibt mir ein gelbes Heft: „Fred Nostal war wieder mal da“ von Susanne Rheinberger. Darauf ist auch ein Weinglas mit Achtelnote oben drauf zu erkennen und daneben steht Gesänge, Gedichte, Gespräche beim Wein. Natürlich sind in dem Stück Rheinromantik auch Liedtexte von Friedemann Mosler zu finden: „Kommt her! Wir rücken zusammen. Viel besser schmeckt uns allen dann der Wein. Wenn ihr Land und Leute kennenlernen wollt, kann euer Platz an diesem Tisch nur sein. Denn in unsrer Runde gilt seit je her, und es bleibt dabei: Ein Platz, der ist immer noch frei.“ Das Weinglas mit der Achtelnote oben drauf ist auch auf Hella Moslers Grabstein abgebildet, erzählt mir der Rheinpoet. 

Sein erstes Instrument, was Friedemann Mosler spielte, war das Akkordeon. Er studierte katholische Kirchenmusik in Stuttgart und Musikwissenschaften in Bonn. Die Limburger Domsingknaben unterrichtete er in Orgel, Klavier und Harmonielehre. Als Musiklehrer war er auch an der städtischen Fürst-Johann-Ludwig-Schule in Hadamar tätig. In Assmannshausen leitete er von 1989 bis 2008 zwanzig Jahre lang den Chor des Gesangsvereins Cäcilia

Es ist hoffnungslos alle Stationen von Friedemann Moslers Leben aufzuzählen. Mal arbeitete er in Essen, mal lebten sie in Koblenz direkt am Rhein. Mittlerweile hat es ihn nach Bingen-Büdesheim verschlagen. 50 Jahre hatte er in Assmannshausen gewohnt und sich damals gut am Rhein eingelebt. Noch immer steht im Haus in Assmannshausen seine Zahnbürste für spontane Besuche bereit und jedes Jahr kommt er zum Schülertreffen vorbei.

Eins ist sicher: überall, wo Friedemann Mosler lebt, bringt er sich ein, ist aktiv, erkundet wandernd die Gegend und hat gefühlt immer einen Tipp oder eine Geschichte parat. Er gibt mir auch eine Wanderkarte, überlegt, welche Touren er mir besonders empfehlen kann oder bei welcher Raststätte wir uns mal treffen könnten. Als ich ihm erzähle, dass ich eher die gemütliche Wanderin bin, sagt er schmunzelnd: „Wandern kann sein, Einkehren muss.“ Er ist ein wahrer Poet, nennt mich eine „Mitstreiterin in unserem Sinne“ und schickt mir einige Tage später sogar einen Zeitungsartikel per Post, durch den ich von der Autorenresidenz in Lorch erfahre. 

Stolz erzählt er mir auch, dass er 2002 bei der Verleihung des UNESCO Weltkulturerbetitels in der Liebfrauenkirche in Oberwesel dabei war. Ich sitze ihm gegenüber, lausche, frage und bin sehr gerührt, diesen Mann kennen zu lernen. Seine Neugierde und Wachheit erinnert mich an meine Uroma, die 100 Jahre alt wurde und bis zuletzt selbstständig in ihrem kleinen Haus lebte. So freue ich mich besonders, dass Friedemann Mosler erfreut auf meine Frage reagiert, gemeinsam eine rheinromantische Lesung mit Musik auf der Burg Sooneck zu veranstalten. Er trinkt den letzten wärmenden Schluck Kaffee, schaut auf den Rhein. Wenig später verabschieden wir uns an seinem Auto, mit dem er zurück ins Tal fährt.

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