Wer den Mittelrhein besucht, kommt an einem Künstler nicht vorbei. Nein, ich meine nicht William Turner oder Carl Haag. Ich meine unseren Zeitgenossen Michael Apitz. Die markant-monochromen Werke des Wallufers und deren Reproduktionen säumen den Oelsbergpfad und hängen im Kulturhaus Oberwesel, sie zieren Weinhandlungen, Privathaushalte und sogar die Kaffeetassen der Generaldirektion Kulturelles Erbe. Apitz trifft einen Nerv – mit Landschaftsmalerei, die schon lange nicht mehr so en vogue ist wie zu Zeiten der Rheinromantiker. Wie macht er das? Indem er starke Farben, Heimatliebe und die perfekte Menge Abstraktion mischt.
Apitz begrüßt mich an der Tür der Hauptstraße 65a im hessischen Örtchen Walluf. Ein freundlicher Mensch, aber auch ein schneller, irgendwie getrieben. Die Worte scheinen nur so aus ihm herauszublubbern. Nach dem „Hallo“ geht es nahtlos weiter. Er habe noch einen Anschlusstermin. Sei gerade etwas viel.
Trotzdem: Gemütlichkeit muss sein. „Kaffee? Ja? Dann bitt‘ ich eben meine Schwester, dass sie einen macht. Bin sofort zurück. Schwarz? Cappuccino?“ – „Äh, Cappuccino.“ Weg ist er. Und genauso fix wieder da.
Eine Laufbahn beginnt: Lehrerkarikaturen
Apitz setzt sich auf einen der zwei bereitgestellten Holzstühle im ehemaligen Wartezimmer der Zahnarztpraxis, die nach Schließung erst sein Elternhaus wurde und heute unter anderem als Ausstellungsraum dient. Es ist auffallend, wie wenig er das Klischee des schwermütig dreinblickenden Schalträgers erfüllt. Künstler scheinen oft krampfhaft wie welche aussehen zu wollen. Apitz hingegen präsentiert sich mit blauem Kapuzenpulli, hochgeschobenen Ärmeln, jungenhaft struppigen Haaren und einer markanten schwarzen Brille, die seine freundlich-gewitzten Augen hervorstechen lässt.
Lange bevor er anfing mit Spachtel und Acrylfarbe zu arbeiten, machte sich Michael Apitz einen Namen als Comiczeichner. Aufs Stichwort beginnt er zu erzählen.
„Dass ich wohl ein Talent fürs Malen habe, ist tatsächlich schon im Kindergarten aufgefallen. Wenn wir gemalt haben, hat die Kindergartenleiterin mich gelobt. In der Grundschule hat sich das noch verstärkt“, erinnert er sich. Der Kunstunterricht wird sein bestes Fach.
Gezeichnete Geschichte: Die Ära der Karl-Comics
Dass er schließlich den beruflichen Weg der Gestaltung einschlägt, ist auf eine pubertäre Laune zurückzuführen. „Wie das so ist: Mit 13, 14 wird man so ein bisschen ein Revoluzzer. Also habe ich angefangen, im Unterricht Karikaturen der Lehrer zu zeichnen – mit großem Erfolg bei meinen Mitschülern“, sagt Apitz. Als er mit 16 auf das Gymnasium in Geisenheim wechselt, zeichnet er Karikaturen für das Schülermagazin. Die spitze Feder zieht sich fortan durch das Leben des jungen Mannes. Sogar der Hauptmann bei der Bundeswehr will karikiert werden und ist so amüsiert, dass er seinem Rekruten einen Tag frei gibt.
Als Apitz nach der Bundeswehr Grafikdesign studieren will, muss er aufgrund seines geburtenstarken Jahrgangs lange auf einen Platz warten. Während dieser Zeit entsteht das Comicprojekt, das den Zeichner überregional bekannt machen soll: Schulmagazin-Kollege Patrick Kunkel, damals als Student der Geschichte und Germanistik in Mainz eingeschrieben, möchte gerne mit Apitz weiterarbeiten.
Inspiriert vom franko-belgischen Stil der Asterix-Comicreihe beschließen sie, ein eigenes Heft zu entwickeln, mit Bezug zur Entstehungsgeschichte der Spätlese im Rheingau. Ihr Erstlingswerk „Karl, der Spätlesereiter“ entsteht in eben jenem Wartezimmer, in dem wir heute sitzen – und verkauft sich binnen drei Wochen 10.000-mal.
Nach dem unerwarteten Einstiegserfolg führen Apitz und Kunkel ihren „Karl“ erfolgreich im Eigenverlag als Regionalhistorienreihe weiter. Über 15 Jahre hinweg entstehen 12 Geschichten, beruhend auf historischen Begebenheiten, gespickt mit Bezugnahmen zur Gegenwart und popkulturellen Zitaten. Die meisten sind heute vergriffen. Mir hält Michael Apitz deshalb entschuldigend eine englische Version des letzten Bandes „Das Erbe“ hin. Auf dem Titel erkenne ich Burg Rheinstein.
Vom Stift zum Spachtel: Aus Grafikdesign wird Landschaftsmalerei
Michael Apitz hat sich mit diesem Projekt in die Themenwelt Rhein, Wein und Geschichte begeben, die ihn bis heute begleitet. „Ich habe in dieser Zeit wahnsinnig viel gelernt“, sagt er. „Das Problem war nur, dass ich damit total eingleisig unterwegs war. Mich kannten alle nur als den ‚Comic-Typen‘. Das wurde als trivial empfunden.“
Passenderweise schubst einer seiner Professoren – inzwischen studiert Apitz Grafikdesign in Wiesbaden – ihn gerade jetzt aus seiner Komfortzone. „Er sagte zu mir: ‚Schade, dass du nur Comic machst. Du kannst doch viel mehr, Bub‘. Ich war erst sauer darüber“, sagt Apitz und muss schmunzeln. „Aber er hat mich damit so getriggert, dass ich dann tatsächlich meine Malerei ausgebaut und bei ihm meine Diplomarbeit abgelegt habe.“
Mit der Weinbergserie, für die er im Abschluss-Jahr 2000 eine Glatte Eins und viel Zuspruch absahnt, beginnt Apitz‘ bis heute andauernde Liebe zur Landschaftsmalerei. Die Ära der Karl-Comics geht 2005 zu Ende.
Obwohl es in der Region keine wirkliche Kunstszene gibt, verlässt Apitz seine Heimat nicht. „Ich bin nicht geistig hiergeblieben, geistig habe ich mich sogar weit raus bewegt. Aber ich lebe einfach gerne hier“, sagt er schlicht. „Ich finde, wenn man im Paradies geboren ist, wie ich, dann ist es sehr dumm, aus dem Paradies wegzugehen.“
Arbeiten im Paradies: Michael Apitz und die Rheinlandschaft
Sein Paradies ist nun schon seit über 20 Jahre ein ergiebiger Nährboden für markante Landschaftsgemälde, die große mediale Aufmerksamkeit erfahren. 2011 wird seine Arbeit an einer „Rheinreise-Werkserie“ für ein Fernsehformat inszeniert und begleitet.
Ein Highlight, sagt Apitz.
Dass er so regelmäßig in den Medien stattfindet, begründet er schlicht: „Ich mach jeden Scheiß mit, solange er einigermaßen sinnvoll ist. Und dann bin ich authentisch. Man kriegt genau das, was da ist“, sagt er und deutet an sich herunter.
Obwohl er immer wieder die Ufer des Rheins verlässt, um sich künstlerisch zu entwickeln – 2013 entsteht sogar eine Periode der Stadtlandschaften, die er amüsiert als „Ausrutscher“ bezeichnet – zieht der Heimatfluss ihn immer wieder zu sich zurück.
In der Coronazeit entstehen die Apitz Blues, eine Reihe von Rheinlandschaften, die sich zu einem großen Panorama zusammensetzen. „Blues steht für Schwermut, für Nachdenklichkeit und findet sich im Symbol der Blauen Blume der Romantik. Die Romantik ist ein Wiederfinden der inneren Stimmung im Äußeren, das sehe ich auch bei mir“, erklärt Apitz. „Ich lade das, was ich sehe, mit ganz anderen Farben, mit ganz anderer Stimmung auf, versuche von innen raus Dinge auszudrücken.“
Seine Motive findet Michael Apitz auf Wanderungen. Er hält sie auf Fotos und Skizzen fest, um sie später seinen Ideen entsprechend zu bearbeiten. Meist interessieren ihn bestimmte Strukturen, die er neu zusammensetzt oder in eine neuen Farbwelt überführt. „Oft werde ich als Impressionist bezeichnet, das stimmt aber nicht“, sagt er. „Impressionismus wäre es, wenn ich dasitze und eine ganz spezielle Stimmung in einem bestimmten Moment einfange. Das tue ich aber nicht. Wenn, dann kann man das, was ich mache, expressionistisch nennen. Ich male meine Bilder, weil mich Landschaft einfach fasziniert. Und ich habe nicht den Anspruch, damit die Welt zu verändern. Ich habe einfach Bock an dem Handwerk und daran, möglichst viel auszuholen aus dem Medium Malerei.“
Entsprechend unprätentiös steht Michael Apitz zum Weg, den seine Werke gehen.
Malen um des Malens Willen: Erfolgreicher Eigensinn
In einem Museum zu hängen, sei nicht die größte Motivation. Zur Kunstszene hat er ohnehin ein gespaltenes Verhältnis. „Ich mache mir schon meine Gedanken und ich habe auch meine klaren künstlerischen Vorstellungen, aber ich kann nichts anfangen mit Konzeptkunst, die man im Grunde studiert haben muss, um sie zu verstehen. Im Studium haben wir in einer lustigen Pausenlaune neben einen dieser Diabolo-förmigen Ascher im Gang Kippenstummel, ein Knäuel Papier, eine Dose und noch andere Sachen hingeschmissen und ein Zettelchen drangemacht ‚Projekt der Projektgruppe XY‘. Drei Wochen lang hat es niemand weggeräumt. Hatte null Aussage, wurde aber ernst genommen, weil es in der Fachhochschule stand“, erzählt er und schüttelt den Kopf. „Leute gehen in ein Museum und nehmen alles, was da hängt ernst. Ich finde, man muss sich auch mal trauen zu sagen, dass etwas kacke ist. Kacke gemalt, sagt mir nichts, was auch immer. Alle lassen sich sagen, was geil ist. Anstatt aus dem Körper heraus zu erspüren, was sie anspricht.“
Wenn man nicht den ausgenudelten Begriff der Authentizität verwenden möchte, um Michael Apitz und seine Arbeit zu charakterisieren, dann ist es vielleicht Intuition. Intuitiv eine Landschaft erspüren, intuitiv mit Farbe arbeiten, dabei intuitiv einen ganz eigenen Stil entwickeln. Intuitiv einen Lebensweg beschreiten und intuitiv entscheiden, was gefällt und was nicht. So ist es nicht verwunderlich – und auch nicht unglaubwürdig –, dass Apitz sagt, er male seine Bilder, obwohl er als Künstler sehr kommerziell funktioniert, für sich selbst. Ohne den Gedanken an eine etwaige Käuferschaft.
Dass es die gibt, ist glückliche Fügung, liegt an der Heimatliebe, an dem kleinen Funken Rheinromantik, den viele hier noch in sich tragen. Und daran, dass in Apitz Landschaften am Ende doch jeder sehen darf, was er will. Die Leute seien froh, dass er nicht die verkopfte Kunstwelt repräsentiere, sagt Apitz.
Im Fluss der Inspiration: Auch Künstler brauchen Pause
Sein Körper hat inzwischen eine etwas entspanntere Haltung eingenommen, er spricht etwas langsamer. Dennoch haben wir beide die Uhr im Blick, unter Strom steht Apitz noch immer – der Folgetermin… Erst kürzlich hat sein Körper ihm mit einem Hörsturz signalisiert, dass es Zeit ist, kürzer zu treten. Michael Apitz ist ein Mann des Outputs – seit Jahren produziert er Reihe um Reihe, Werk um Werk.
Aus dem Jungen, der nicht anders kann als Zeichnung um Zeichnung zu produzieren, einfach, weil die Ideen da sind, ist ein Mann geworden, der nicht aufhören kann, zu malen, weil die Region nicht aufhört, ihm Geschichten und Motive zu liefern.