Drei Monate ist es nun schon her, als ich das erste Mal den Weg vom Parkplatz hinauf zur Burg Sooneck gegangen bin, das erste Mal das Gemäuer bestaunte und ungläubig durch das Eingangstor stiefelte. Selbst heute noch, wenn ich beispielsweise beim Frühstück sitze und auf den Rhein, die Toteninsel und die Silhouette von Lorch samt Weinbergen schaue, denke ich bei mir: Kneift mich mal wer? Träume ich? Vielleicht macht die Perspektive von oben eine Art Logenplatzfeeling aus. So wie im Theater, wo vor dir die Bühne liegt und das Spiel beginnt.
Allerdings erlebe ich auch meinen Sitzplatz oft als Fiktion. Wer denkt schon daran, auf einer Burg zu leben? Ich durchstreife die Sooneck mit ihren Mauerwegen, von denen ich am Abend die Sonne hinterm Wald verschwinden sehe, rieche an den Rosen, beobachte die Eidechsen, die sich manchmal sogar zu mir auf einen nahen Stein gesellen oder liege auf der Bank und betrachte die Burg samt vollen Sternenhimmel.
Auch wenn die Romantik überwiegt, gibt es sie, die unheimlichen Momente: das Rufen des Käuzchens, die Schritte im Kiesel in der Nacht oder die schrille Stimme eines Wildtieres aus dem umliegenden Wald. Der Blick in die Nacht verdeutlicht mir einmal mehr: meine Nachbarn sind Fledermäuse, Eidechsen, Turmfalken, Spinnen und Siebenschläfer. Ich habe mich daran gewöhnt, aber manchmal klopft sie doch noch an die Tür – die Einsamkeit, nimmt mit einer Wucht den Raum ein. Anders als an heimischen Orten, wo Menschen leben, mit denen ich verbunden bin – da guckt sie nur dann und wann zum Fenster rein.
Und so sind die letzten drei Monate für mich vor allem auch von den Momenten geprägt, die ich mit Menschen verbinde und dem Gefühl ein paar Meter angekommen zu sein, am Rhein. Menschen, die ich wieder treffe, die mir bekannter werden. Menschen, mit denen ich auf der Straße einen Plausch halte, die mich auf der Fähre begrüßen oder die ich bei Veranstaltungen wiedersehe. Oder Menschen, die auf der Burg Sooneck arbeiten, mit mir einen Kaffee trinken oder mich dort besuchen.
Die eigenen vier Wände einzunehmen, als Zuhause zu benennen, dauert bei mir meist nur ein, zwei Tage. Vielleicht, weil ich viel auf Reisen war und bin. Aber sozial in einer neuen Umgebung anzukommen, sich zu verknüpfen und heimisch zu fühlen, braucht Zeit. Vor allem wenn es sich um ein 65 kilometergroßes Gebiet handelt. Natürlich geht es als Buga-Bloggerin in erster Linie darum, über das Obere Mittelrheintal zu berichten und natürlich bleiben mir ja auch meine sozialen Kontakte, meine Familie und Freund*innen außerhalb des Tals, aber es macht doch einen gewaltigen Unterschied, Menschen in der Umgebung zu wissen, die ich nicht nur als Buga-Bloggerin, sondern auch als Marie-Luise anrufen kann.
So wundert es mich rückblickend auch nicht, dass ich den gestrigen Abend nicht auf der Burg, sondern auf der schönsten Fähre von Lorch nach Niederheimbach verbracht habe und der Zauber des spiegelnden Abendrots mich nicht aus der Loge, sondern direkt auf der Bühne in den Bann gezogen hat.
Als Bonbon lud mich spontan noch ein Pärchen auf dem Nachhauseweg auf ein Glas Wein ein. Es war ihr erster Urlaubsabend, den sie nahe der Burg genossen und natürlich wollten sie wissen, wo ich zu dieser Zeit noch hin will. So ließ ich quasi für sie Revue passieren, was ich hier im Tal schon alles erlebt habe und wie das so ist, als modernes Burgfräulein allein auf einer Burg zu leben.
Und auch wenn ich am liebsten die Zeit anstauen würde, damit sie langsamer von dannen treibt, fließt sie mit Karacho vorbei, sodass ich das Wasser kaum an den Händen fühle. Fließt der Rhein im Herbst langsamer?