Tagestrip Oberwesel

Trollpfad_Oberwesel

Zwischen Trollen, Kirschkuchen und Weinheiligen

Ein Tagestrip durch Oberwesel stand schon lange auf meinem „Zettel“ für den Mittelrhein. Einerseits, weil das Projekt BUGA-Bloggerin mit einem sehr sympathischen Vorstellungsgespräch am 8. Mai hier im Rathaus begann. Andererseits, weil ich bereits im Rahmen meiner Vorbereitungslektüren über eine ulkige Sage gestolpert war, deren Spuren ich nachgehen wollte. Und dann, weil ich mit Oberwesel nicht auf den ersten Blick „warm geworden“ bin. Ich wollte es besser kennen und dadurch hoffentlich auch mehr schätzen lernen, dieses verbaute Örtchen, mit dessen bewegter Geschichte emsige Kolleg*innen einen äußerst umfangreichen Wikipedia-Artikel gefüttert haben.

Oberwesels weit zurückgehende Historie wird in diesem Beitrag weniger eine Rolle spielen. Stattdessen bekommt hier der liebevoll-neugierige Blick einer wanderfreudigen Genussfrau seine Bühne, die sich gerne in kleinen Details verliert und immer nach Orten zum Nachdenken sucht. Um es vorweg zu nehmen: Ich habe mich auf meiner Oberwesel-Tour ziemlich romantisch gefühlt – und bin auch einem bekannten Romantiker begegnet. Los geht’s durch Oberwesel.

Die Liebfrauenkirche

Liebfrauenkirche Oberwesel

Ich stelle das BUGA-Mobil am Rheinufer ab und wundere mich wieder einmal über diese absurd breite Straße, die regelrecht zum 80-Fahren einlädt. Schnell weg hier. Mein erstes Ziel ist die Liebfrauenkirche, die eigentlich nur zu Führungen und Gottesdiensten geöffnet ist.

Was ich erst merke, als ich vor der Tür stehe, die zu meinem Glück dennoch unabgeschlossen ist.

Im Inneren scheint gerade eine Begehung oder Privatführung stattzufinden. Ich mache mich so durchsichtig und lautlos wie ich kann und schleiche langsam durch das auffallend hohe Seitenschiff der Basilika, deren älteste Teile aus dem 14 Jahrhundert stammen.

Von den hellen Wandflächen heben sich äußerst gut erhaltene mittelalterliche Wandgemälde ab: der heilige St. Martin, St. Goar oder die heilige Ursula zum Beispiel blicken auf mich herunter. Ich kann nicht ganz sagen, was es ist, aber diese Bilder beeindrucken mich; ihre Farbigkeit, ihr illustrativer Stil, die verschobenen Perspektiven. Ebenso wie der 1331 geweihte, imposante „Goldaltar“, geschnitzt aus Eichenholz und ganze 6,5 Meter breit.

Ich verlasse behutsam das alte Gemäuer und biege durch den verzierten Arkadengang noch kurz in den Klostergarten ab, in dessen Wiesenmitte ein leise plätscherndes Wasserspiel steht, das aussieht wie ein überdimensionales Bethmännchen, aus dem klares Wasser quillt. Ein Ort zum Meditieren. Als eine geführte Touristengruppe kommt, ziehe ich weiter.

Des Teufels Hufeisen

Ich gehe die Kirchstraße entlang, unter dem weißen Turm hindurch und hinunter zum Marktplatz. Hier will ich – ein ulkiger Kontrast in meinem Routenverlauf, der mir erst beim Schreiben auffällt – des Teufels Hufeisen finden, um das sich eine unterhaltsame Sage rankt:

Der weiße Turm wurde im Zuge der Erweiterung der Stadtbefestigung 1350 errichtet.

Im Mittelalter sollen die hiesigen Winzer mit Missernten zu kämpfen gehabt haben. Und für Menschen in Not sind Pakte mit dem Teufel ja bekanntermaßen ein probater Lösungsansatz. Belzebub sollte ihnen besseres Wetter bescheren und so die Erträge steigern. Von denen wollte er im Gegenzug ganz gerne was abhaben. Jährlich ein Fass Wein, bereitgestellt zur nächtlichen Abholung auf dem Marktplatz, so der Deal.

Als die Oberweseler ob dieses unchristlichen Geschäfts das schlechte Gewissen plagte, bauten sie zunächst mehrere Kirchen in der Hoffnung, dem Teufel seine Besuche so zu verleiden oder wenigstens das schlechte Gewissen loszuwerden zu können.

Als das nicht klappte, wurden die guten Bürger*innen Oberwesels etwas drastischer. Statt des bestellten Weins stellten sie an die Übergabestelle auf dem Marktplatz ein Fass Weihwasser.

Als der durstige Teufel einen genüsslichen Schluck nahm und angewidert den Betrug feststellte, stampfte er so wütend auf, dass sein Hufeisen im Pflaster stecken blieb. Zu guter Letzt wird er auch noch vom Weihwasserfass überrollt.

Ich muss sagen, dass ich in dieser Geschichte ein bisschen mit dem armen Teufel sympathisiere. Der ist ganz schön betrogen worden.

Eigentlich will ich nach dem Besuch des Teufelshufeisens ins Meteorite Museum, aber das hat gerade Ferien.

Also gehe ich direkt weiter Richtung einer Attraktion, die ich im Buch „111 Dinge am Mittelrhein, die du gesehen haben solltest“ entdeckt habe. Das dort abgebildete Foto und die Behauptung, jeder könne diesem anarchischen Kunstprojekt eine eigene Kreation beisteuern, haben mich neugierig gemacht.

Aufstieg zum Trollpfad

Über die Koblenzer und Bürgermeister-Zeuner-Straße laufe ich aus dem Stadtkern hinaus und bin bald auf einem Wanderpfad im Grünen angelangt, der als Teil des Rheinburgenwegs ausgezeichnet ist.

Als ich gerade über die unpraktischen metallbefestigten Treppenstufen genervt sein will, die den Aufstieg hier vielerorts wesentlich stolpergefährlicher machen als er sein müsste, muss ich lachen:

Wo jemand noch dran denkt, „I love Rüsselsheim“-Aufkleber zu verteilen, ist die Welt doch in Ordnung. Einige hundert Distanz- und nicht wenige Höhenmeter weiter komme ich am Trollpfad an.

Idyllisch gelegen, begegnen dem*der Wanderfreudigen hier auf einem Kilometer 14 ulkige Metallfiguren mit lieben Gesichtern. Ich treffe die „Troll Amore“, „Trolls Rheines Lust“, den „Digital KonTroll“ und den „Trollinger“. Das hier ist einer der absurdesten Orte, die ich je gesehen habe. Ich mag ihn sehr.

Auf der Bank des sympathischen „Rheines Lust“-Trolls, der den Arm aufhält, wie ein Kumpel, der kuscheln will, und in der anderen Hand eine Flasche hält, mache ich eine kleine Pause. Weit blicken kann man hier nicht, dafür aber den Vögeln lauschen.

Trollpfad_Oberwesel

Die Niederburger Heide

Ich verabschiede mich von meinem neuen Freund und wandere weiter Richtung Niederburger Heide, deren Landschaft mich sehr an den Egelsberg, meinen Lieblings-Naturort zu Hause in Krefeld erinnert. Über das, was wir „Berg“ nennen, würde jede*r Mittelrheiner*in sich schütteln vor Lachen. Aber schön ist er trotzdem.

Nach ca. 1,5 Kilometern durch die von Mohn und Kornblumen gesprenkelten Felder finde ich eine wunderbare Liegebank mit Blick über Feld und Rhein.

An diesem herrlichen Ort, der unter „Niederburger Heide“ auch bei Google verzeichnet ist, bleibe ich eine ganze Weile, lausche dem Knirschen der Mountainbikes, die in der Nähe vorbeifahren, rieche Heu und Wildblumen und kann nicht anders als nur hier sitzen und denken zu wollen.

Als mein Magen sich meldet, reiße ich mich von meinem gemütlichen Rastplatz los und laufe Richtung Günderodehaus, das mir Klaus Collerius, der Kastellan von Burg Sooneck, empfohlen hat. Den tollen Blick und das Ambiente hat er gelobt. Nun bin ich sehr gespannt.

Das Günderodehaus

Klaus hat nicht zu viel versprochen. Das Günderodehaus wurde aus Bestandteilen baufälligen Hauses von 1780 Anfang der 2000er als Kulisse für den Film Heimat 3 von Edgar Reitz erbaut und hat eine der schönsten Außengastronomien, die ich je gesehen habe. Mit Blick über die Weinberge, im Schatten einer riesenhaften Rosskastanie kann man hier an blumengeschmückten Tischchen kleine hausgemachte Speisen und eine recht große Auswahl verschiedener Getränke genießen.

Mit Kirsch-Streuselkuchen (die zimtigen Streusel und die wenig gesüßten Sauerkirschen sind ein köstliches Duo), Cappuccino und Wasser ergattere ich einen der besten Plätze, direkt am Stamm der Kastanie und schaue zufrieden über die weinbewachsenen Hänge auf Oberwesel.

Als ich bei meinem Aufbruch feststelle, dass William Turner Mitte des 19. Jahrhunderts nur wenige Meter von meinem Sitzplatz entfernt das Motiv für ein heute überregional bekanntes Groß-Aquarell gefunden hat, wundert mich das nicht.

Ebensowenig wie die anderen 26 Blickpunkte dieser Region, die der Künstler verewigt hat – aber darüber schreibe ich wann anders mal. Von hier aus kann man wunderbar die markante katholische Pfarrkirche St. Martin sehen, die eindrucksvoll auf dem höchsten Punkt der Stadt thront.

Besuch bei den Weinheiligen

Ich verlasse die zweiten Fußstapfen, in die ich heute getreten bin, um entlang der Reben den Hügel hinunter bis auf den Siebenjungfernblick, vorbei am Niederburger Turm und von dort aus über die alte Gleisstraße im Fels Richtung Innenstadt zu laufen. Der kleine Weg ist Teil des Weinlehrpfades und informiert mit Hinweistafeln über die sieben Weinheiligen:

Unsere Liebe Frau, Schutzpatronin der Winzer, St. Laurentius, dem die Winzer am 10. August ihre Erstlingstrauben widmen, St. Florinus, der Wasser in Wein verwandelt haben soll, St. Sebastian, nach dem das Trinken neuen Weins als St. Sebastians-Pfeil benannt ist, St. Urban, Schutzpatron der Winzer, St. Goar, der einst Reben aus Frankreich mitbrachte und den Winzerknaben Werner. Dass der hier noch aufgeführt sein muss, verstehe ich ob seiner anti-jüdischen Symbolik (Werners Tod Ende des 13. Jahrhunderts wurde als jüdischer Ritualmord ausgelegt und führte zur Judenverfolgung am Mittelrhein) nicht so ganz.

Steingassenturm und Stadtmauer

Ich verlasse den Schiefertafel-Werner und folge einer nach ihm benannten Straße, um zum Abschluss meiner Tour auf die Stadtmauer hinaufzusteigen, der ich bis zum Steingassenturm unweit der Mutter-Rosa-Kapelle folge.

Ein letzter Aufstieg über die ausgetretenen aber massiven Stufen der drei steilen Treppen, um für heute einen abschließenden Ausblick zu genießen.

Vorbei an der Mutter-Rosa-Kapelle, die auch mal eine Wernerkapelle war aber im aufgrund der damit konnotierten Judenverfolgung am Mittelrhein umgewidmet wurde, folge ich der Stadtmauer noch einige hundert Meter und bin beeindruckt, wie sehr auch dieser neue Blickwinkel die Wahrnehmung meiner Umgebung verändert.

Oberwesel auf Straßenniveau und Oberwesel auf Mauerniveau sind zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe. Diese kleinen „Umwege“ und ungewöhnlichen Perspektiven haben mir ein Oberwesel gezeigt, dass mir mehr geben konnte als das Bild des Ortes, das beim einfachen Durch-die-Straßen-Marschieren entsteht.

Dieses Oberwesel hat mir Geschichten erzählt.
Und davon hat es, wie mir wohl bewusst ist, noch einige mehr in Petto…

Zum Abschluss noch ein Bild von einer lieben Oberweseler Katze. 🙂 #catcontent

2 Kommentare

  1. Liebe Frau Jansen,
    da ich erst kürzlich selbst an einer dieser Führungen teilgenommen habe und die Eindrücke noch sehr präsent sind, muß ich sie Ihnen unbedingt weiterempfehlen, falls Sie Oberwesel noch ein zweites Mal erkunden wollen:
    https://oberwesel.de/tourismus/oberwesel-aktiv/stadtfuehrung-weinprobe-co/besuch-bei-der-koenigin/
    Die seltene Gelegenheit, auf/unter/in eine Orgel zu steigen unter kundiger Führung des Organisten.
    Dieser Regionalkantor Stollhof wäre im Übrigen auch einen eigenen Blogbeitrag wert. Er ist beseelt von seiner Arbeit und hat in den letzten 16 Jahren eine tolle Kirchenmusikszene in Oberwesel auf die Beine gestellt und für die Komplettrestaurierung der historischen Klaisorgel gesorgt.
    Weiterhin viel Freude beim Entdecken des Mittelrheintales!! 🙂
    Beste Grüße aus Bingen,
    Nina Günster

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