Klaus Collerius – Der Kastellan

Klaus Collerius

Klaus Collerius besitzt viele Schlüssel. Sehr viele. Über 80 Stück sind es, die ihm Tür und Tor zu 31 historischen Gebäuden zwischen Idar-Oberstein und Dasburg öffnen. Klaus ist Regionalleiter Mittelrhein-Eifel der Direktion Burgen, Schlösser, Altertümer – und damit so etwas wie ein moderner Kastellan all dieser magischen Orte.

Der Kastellan (von mittellateinisch castellanus ‚zur Burg gehörig‘) ist ein Aufsichtsbeamter eines größeren Anwesens, z. B. einer Burg, eines Schlosses oder eines Palais.Wikipedia

Vom Schlosser
zum Schlossherrn

Ich besuche Klaus um 8 Uhr morgens in seinem Büro „unterm Klo“, wie er scherzhaft behauptet. Ganz so abortig, wie das klingt, ist es aber nicht.

Zumindest hört und riecht man in dem schmalen, mit Akten, Werkzeug und anderem Kleinkram vollgestellten Raum an der Ostseite von Burg Sooneck nichts von der Toilette in der Etage drüber. Bisher habe ich ihn immer nur auf dem Parkplatz getroffen, mit Zigarre im Mund und Helm auf dem Kopf, auf dem Sprung irgendwohin.

Aus dem Lautsprecher tönt gut gelaunte Phil-Collins-Musik. Der perfekte Soundtrack für den lächelnden Klaus im türkis-blau karierten Hemd, der so braungebrannt ist, als würde sein Leben nur aus Urlaub bestehen. Dass dem nicht so ist, darf ich gleich live miterleben.

„Sooo“, sagt er gedehnt. „Ein Telefonat muss ich noch kurz führen.“ Irgendwas mit Rechnungen. Klaus rollt mit den Augen und flötet dem Angerufenen in der nächsten Sekunde einen „wunderschönen guten Morgen“ entgegen, während eine Pop-Up-Notification auf seinem Bildschirm den Eingang einer neuen Mail verheißt.

Klaus spricht wie ein Rennauto – laut, schnell und mit vielen Betonungskurven; alle paar Meter knattert ein salopper Spruch aus ihm heraus. Er hat eine entwaffnende Beherztheit an sich, gibt seinem Gegenüber stets ein Gefühl der vollen Aufmerksamkeit. Die wachen Augen offen, der Blick meist unterlegt mit einem amüsierten Funkeln. Ein Mensch mit „Funny Bones“. Klaus könnte mir von Streichwurst erzählen und ich fände es unterhaltsam. Einer, mit dem man gerne lachen möchte, dem man aber auch das Nahbare, Empathische abnimmt, das in unserem Gespräch immer wieder durchkommt.

Klaus legt auf. „So, jetzt geht’s los, jetzt frag!“, sagt er und nimmt breit lächelnd Haltung an. Beginnen wir mit der Geburt. Klaus muss lachen. „Der Collerius“, wie er sich selbst gerne nennt, ist ein absolutes Urgewächs der Ortschaft Niederheimbach. Nach Grund- und Hauptschule in seinem Heimatort absolviert er eine Lehre als Karosseriebauer bei Magirus-Deutz in Mainz. Von da aus geht es zur Bundeswehr. Danach arbeitet Klaus als Schlosser bei Ernst Adams in Oberwesel. Fünf Jahre später geht es zur Firma Prinz nach Stromberg. Und dann stolpert Klaus über eine Annonce, die ihn in einen der heute wohl seltensten Berufsstände Deutschlands führt. Gesucht wird ein Verwalter für Burg Sooneck. Und Klaus, der nur einen knappen Kilometer entfernt wohnt, gut mit Menschen kann, handwerklich einiges auf dem Kasten hat und die Burg aus Kindheitstagen kennt, eignet sich perfekt für das vielseitige Aufgabenpotpourri.

G’schichten aus‘m Burgalltag

Mit drei Mitarbeitenden kümmert sich Klaus ab dem 1. Januar 2003 rund um die Uhr um das alte Gemäuer, seine Gärten und die Besucher*innen. „Ich war Kassenwart, Hausmeister, Putzmädchen und Fremdenführer“, erzählt er. Ganze 20 Jahre lang ist die Sooneck sein zweites Zuhause. Und auf so einer Burg passiert eine ganze Menge.

„Es gibt einige Geschichten, aber die kann man eigentlich nicht erzählen“, kichert Klaus. Er tut es dann aber doch.

In seinen Jahren auf Sooneck gab es nichts, was es nicht gab. Einen kleinen Privat-Sexfilmdreh im tiefsten November zum Beispiel. Eines Abends beim Abschließen habe er zwei nackte Männer mit Kamera in flagranti im Wald am Hang entdeckt. „Ich hab’ sie dann gefragt, ob’s ihnen nicht zu kalt ist.“ Klaus lacht. „Anscheinend lockt das hier an.“ Auch ein erotisches Aktshooting in den Rosenbeeten habe er mal unterbinden müssen. Anträge und Hochzeiten habe es diverse gegeben, aber auch mal einen Einbruch, Sturzverletzungen und traurige Geschichten wie die der Roswitha Werner, die auf der Burg geboren und aufgewachsen war, ihren letzten Besuch als alte Dame im vergangenen Jahr aber krankheitsbedingt nicht mehr wahrnehmen konnte. So eine Burg ist eben auch ein Ort der Kontraste. Und die spielen sich beim Erzählen auch auf Klaus freundlichem Gesicht ab.

Mit der Pensionierung zweier Mitarbeiter und der Bestrebung des Landes, Personal abzubauen, wurde Burg Sooneck 2020 an Familie Hecher verpachtet, die auch Burg Rheinstein bewirtschaftet. „Da hat man gedacht ‚Was machen wir mit’m Collerius, dem Altgedienten?‘ Zu der Zeit kam die Überlegung auf, eine Regionalleitung für Eifel und Mittelrhein zu besetzen. Dazu hat man mich dann auserkoren“, sagt Klaus. Ein kleines Schnauben lässt erahnen, dass er diese Beförderung erst mal unterschätzt hat.

Seit Mai 2021 ist Klaus nämlich für 30 Burgen mehr verantwortlich als vorher. Kannte er die Sooneck in- und auswendig, galt es mitten in der Pandemie, sich in die Menschen, Geschichten, Winkel und Eigenheiten seiner neuen Schützlinge einzuarbeiten. „Aber erstmal ging’s darum: Wo sind die überhaupt? Teilweise hatte ich die Burgen noch nie in meinem Leben gesehen! Ich habe mir in ein Buch der Altertümer in der Region Spickzettel gemacht, um mir einzuprägen, wofür ich jetzt alles zuständig bin. Dann die ganzen Bürgermeister und Touristiker kennenlernen und so weiter. Bis du das alles mal weißt…“ Klaus macht große Augen und prustet.

Klaus kennt sich aus

Seine 39-Stunden-Woche muss er ausgeglichen und bedarfsweise auf die 31 Standorte verteilen. Bisweilen sitzt Klaus dafür ganz schön lange im Auto.

Sein Gebiet umfasst Westerwald, Eifel, Mittelrhein und Nahe. Die weiteste Strecke, die er fahren muss, sind rund 250 Kilometer bis zur Burgruine Dasburg.

Wie sein Arbeitstag genau aussieht, erfährt er meist erst am Morgen desselben, wenn er den Rechner anschmeißt und das Mailpostfach öffnet. Zwar hat er auf einigen Geländen feste Zuständigkeiten wie die Hecken- und Rosenpflege, die regelmäßige Termine erfordern, ein großer Teil seiner Arbeitszeit fließt jedoch in Spontaneinsätze. Hier ist eine Fahne kaputt, da ein Bauteil, dort muss Graffiti beseitigt werden. Zudem kümmert sich Klaus um den Haushaltsplan, hat Personalverantwortung für 13 Mitarbeitende und ist auch für die Betreuung meiner Wenigkeit zuständig. Ach ja, und ständig erreichbar sein muss er auch. Denn für einige „seiner“ Burgen hat Klaus obendrein noch Alarmbereitschaft.

Collerius macht den Flattermann

Wenn der 62-Jährige in Rente geht, hinterlässt er amtliche Fußstapfen. Und die ist nicht mehr allzu weit weg: Noch 315 Arbeitstage, „dann macht der Collerius den Flattermann.“ Von 180 auf null? Das geht natürlich nicht. Klaus plant schon fleißig seinen Unruhestand. Denn er hat nicht vor, ein Fernsehrentner zu werden, der nur zwischen Bett, Esstisch und Couch hin und her schleicht. „Das Schlimmste ist, wenn de Rentner bist und weißt nix mit dir anzufange. Lebenszeit ist kostbar“, sinniert Klaus und lässt dabei seinem rheinischen Dialekt freien Lauf. Er deutet augenzwinkernd neben die Tür. „Guck, da in der Ecke steht schon mein Rentnerstab. Den hat vor 20 Jahren mal jemand stehen lassen im Burghof. Ich hab’ gedacht, den bewahre ich auf und an meinem letzten Tag verlasse ich damit den Burghof.“

2025 beginnt für Klaus eine regelrechte Abschiedstournee. Denn dann neigt sich nicht nur seine Anstellung, sondern auch sein freiwilliges Engagement bei der Feuerwehr dem Ende zu. Neben seinem Vollzeitjob ist er sich nämlich nicht zu schade, sich auch dort noch zu engagieren. Im 51. Jahr und damit als Dienstältester der Verbandsgemeinde wohlgemerkt – darauf ist das Niederheimbacher Urgewächs sichtlich stolz. Schon Klaus’ Vater und großer Bruder waren bei der Feuerwehr.

Und es ist ja nicht so, als hätte Klaus dann nur noch die Alterskameradschaft als Ruhestandsbeschäftigung. Seine Zierfische gibt es auch noch, die ebenfalls schon ein über Jahrzehnte gehegtes Hobby darstellen. Und dann – da kommt der Karosseriebauer in ihm wieder hervor – will sich Klaus einen Traktor kaufen.

„Mein Vater hatte früher einen. Ein Jungentraum“, sagt Klaus mit blitzenden Augen. „Deutz oder Güldner, da bin ich offen.“ Klaus Collerius, der mit Zigarre im Mund auf seinem Trecker durch die Gegend brummt – ein Bild für die Götter. Ich weiß nicht, ob Klaus bewusst ist, wie sehr er am bleibenden Status eines „Originals“ arbeitet.

Inzwischen erklimmen wir die Stufen zur Kernburg. Klaus zeigt mir ein Wildbienennest in der Mauer, erklärt, dass Taubenschwänzchen, eine Kolibri-artige Falterart, sich gerne an den ringsum liegenden Lavendelbüschen gütlich tut. Auch von seiner Sooneck kann „der Collerius“ nicht ganz lassen. Als Pensionär will er seiner Nichte Cora Hecher regelmäßig unter die Arme greifen. Burg Sooneck ist und bleibt eben sein Lieblingsort. Besonders der Bergfried, den Besucher*innen nicht betreten dürfen. Hier hat Klaus an seinem ersten Arbeitstag einen Glückspfennig versteckt. Der ist heute noch immer da. „Das ist der schönste Platz“, sagt er liebevoll und legt eine Hand auf das alte Gemäuer. „Der Blick ist sagenhaft.“ Passend, dass Klaus’ Lieblingsort ausgerechnet der ist, von dem aus er den besten Überblick hat.

INFO:
Eine letzte Führung macht Klaus noch. Die Köth-Wanscheid-Führung, die nur einmal jährlich stattfindet und Interessierten den Zugang zu Räumen der Burg ermöglicht, die sonst geschlossen bleiben. In der Sammlung der Freiherrenfamilie Köth-Wanscheid, die zu diesem Anlass gezeigt wird, finden sich Gemälde, Grafiken und Möbel aus mehreren Jahrhunderten, die auch einen Eindruck vom Burgleben nach dem Wiederaufbau im 19. Jahrhundert vermitteln.

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