Die Reblaus: Besatzerin auf Krabbelfüßen

Reblaus

Sie kam, sah und siegte. Sie hat ganze Landstriche unterworfen. Ihre Eroberungen sind in die Geschichtsbücher eingegangen. Und dabei ist sie nur etwa einen Millimeter groß. Die winzige Reblaus hat den Mittelrhein stark geprägt. Zeit also, diesem kleinen Geschöpf ein wenig Aufmerksamkeit zu widmen, das im letzten Jahrhundert Europa aufmischte und deren Ur-Ur-Ur-Enkelinnen noch immer unter uns weilen.

„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass meine Trauben sind hin“, mag sich mancher Winzer gen Ende des 19. Jahrhunderts gedacht haben, als plötzlich im großen Stil die Reben abstarben. Vielleicht hat sich die Kunde des unheilbringenden Neozoons, das in den frühen 1860er Jahren von der Ostküste Amerikas nach Südfrankreich eingeschleppt worden und dort bereits zum massiven Problem geworden war, aber auch längst bis nach Deutschland verbreitet. Darüber kann ich hier nur spekulieren.

Besuch aus Übersee

In ihrer Heimat Amerika war die Reblaus nur resistenten Wildreben begegnet, denen sie nichts anhaben konnte. Den europäischen Rebsorten fehlte dieses „Immunsystem“ – sodass ihnen die Reblaus nach ihrem Zufalls-Import nicht nur schaden, sondern sich auch rasend schnell vermehren konnte.

Entwicklungszyklus der Reblaus. Quelle: wikimedia.org

So konnte es geschehen, dass die Insektenarmeen auf ihrer Expedition durch die Weinbaugebiete eine nie dagewesene Verwüstung anrichteten. Als Wurzelschädlinge zapfen Rebläuse wie kleine Vampire das Leitgewebe der Weinreben an und entziehen der Pflanze so die Nährstoffe. Allein in Frankreich vernichteten die ungebetenen Gäste innerhalb von knapp 10 Jahren 2,5 Millionen Hektar Rebfläche. Nur 25 Prozent blieben übrig.

Um die Wingerte zu retten, versuchte eine eigens eingesetzte Kommission zur Bekämpfung der Reblaus ab 1870 der Plage mit ebenso ungewöhnlichen wie nutzlosen Waffen Einhalt zu gebieten: Die Reblaus ließ sich aber weder durch vergrabene Kröten noch durch gezielte Überflutungen oder die Injektion von Kohlenstoffdisulfid in ihre neue Wurzelheimat die Laune verderben.

Wie ein Insekt den Mittelrhein eroberte

Sind antike „villae rusticae“ oder „viae“ noch als deutliche Hinweise auf eine römische Kultur am Mittelrhein erhalten, sind die Relikte der Reblaus-Ära Zeugnisse ihrer – weitestgehenden – Verdrängung. Und die übersieht man leicht.

1873 gelang dem Botanik-Professor Jules Émile Planchon in Kooperation mit dem Winzer Gaston Bazille und dem Gartenbauer Félix Sahut dann doch der Durchbruch: Die drei Männer vollzogen zunächst die Herkunft des Insekts nach und ließen sich dann Reben amerikanischer Winzer schicken, um deren Wurzeln nach verschiedentlichen Untersuchungen als „Unterlage“ für europäische Weinreben zu nutzen – damit war die erste biologische Schädlingsbekämpfung der Weinbaugeschichte erfunden: Die Reblaus konnte die resistenten Wurzeln nicht mehr befallen, während die heimischen Rebsorten einwandfrei darauf wuchsen.

Nicht mal die Weinstöcke in Entenhausen sind vor der Reblaus sicher!
Die verzerrten Größenverhältnisse sind laut Quelle “der Phantasie des Herrn Duck geschuldet”. Quelle: alleswisser.org

Noch heute werden Unterlagsreben verwendet, um Reben vor Laus- aber auch vor Pilzbefall zu schützen. Ganze 85% der Reben werden heute so kultiviert.

Bis sich das Aufpfropfen durchsetzte, dauerte es allerdings viele Jahre. Wütete die Reblaus im Rheinland ab den 1870er Jahren, breitete sie sich hierzulande noch bis ins 20. Jahrhundert erfolgreich aus. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Aufpfropfen in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben und so der Plage Einhalt geboten.

Quelle: Paunaro – commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1843455

Allerdings ist die Rückkehr der Reblaus nicht ausgeschlossen, denn brachliegende, nicht ordnungsgemäß gerodete Rebflächen, wie wir sie durch den Strukturwandel im Weinbau vermehrt vorfinden, bieten dem Insekt optimale Bedingungen, ihre Population wieder ungestört zu vergrößern.

Während ihres anhaltenden Triumphzugs sorgten die Insektenströme übrigens nicht nur für sterbende Weinberge, sondern auch dafür, dass Betroffene aus ihrer Not eine Tugend machen mussten: Der Obstbau bot sich als alternative für die klimatisch günstige Mittelrhein-Region an. So kam es, dass sich der Mittelrhein Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts vermehrt als Kirschenregion entwickelte, deren Hochzeit nach dem 2. Weltkrieg wieder endete.

Wer eine Mittelrheinkirsche isst, darf sich bei der Reblaus bedanken. Wer weiß, ob es den Kirschenpfad in Filsen heute gäbe, hätte die Besatzerin auf Krabbelfüßen nicht so hartnäckig ihr Imperium aufgebaut.

Hoffen wir trotzdem, dass der kleine Rebenvampir kein Comeback feiert. Mit Klimawandel und den steigenden Lebenserhaltungskosten haben Winzerinnen und Winzer hier nämlich schon mehr als genug zu tun.


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