Der Rhein als juristische Person?

Der Rhein als Rechtsperson
Der Rhein als Rechtsperson

Wenn die Natur ihre Persönlichkeit entfalten darf

Unsere Natur ist gefährdet – so weit so bekannt. Hier wird abgeholzt, dort wird versiegelt, da begradigt. Würde man so in die Handlungsfreiheit eines Menschen eingreifen, könnte sich dieser zur Wehr setzen, mithilfe seiner im Grundgesetz festgeschriebenen Rechte. Seit einigen Jahren gibt es deshalb die Idee, auch die Natur zur juristischen Person zu machen. Angefangen hat das alles mit einem Fluss.

Bis vor kurzem war das Phänomen von Flüssen als Rechtspersonen vollkommen an mir vorbeigegangen. Dass für die Renaturierung und den Schutz von Flüssen gekämpft wird – ja, sowas habe ich hier und da gelesen. Aber dass ein Fluss zur juristischen Person werden kann? Darauf hat mich Fritz Stüber aus Medenscheid gebracht. Stüber ist engagiert im Verschönerungsverein Bacharach, der seinen Angaben nach interessiert beobachtet, wie sich das Geschehen in dieser Angelegenheit in Deutschland entwickelt.

Die Umwelt ist dem einstigen Kriminalisten äußerst wichtig. „Die Natur als Rechtsperson, den Rhein als Rechtsperson, verstehe ich als Teil eines notwendigen Prozesses von uns Menschen zu einer Annäherung an unsere Mitwelt, von der wir uns entfremdet haben“, sagt Stüber. „Gerade leben wir in Entfremdung von der Natur. Es braucht ein neues Bewusstsein und damit Formen und Regeln des Zusammenlebens. Es geht um ein Miteinander auf Augenhöhe.“

Also bin ich der Frage nachgegangen, wer die Idee hatte, Teile der Natur rechtlich auszustatten und inwiefern es diese Bestrebungen für den Rhein gibt. Denn auch dieser Fluss ist vielerorts weit weg von seinem natürlichen Zustand und hat in der Vergangenheit schwer unter menschengemachten Krankheiten gelitten.

Vom ersten Tropfen zur ideellen Strömung

Der erste Fluss, der als Rechtsperson anerkannt wurde, war der Whanganui in Neuseeland. 2017 konnten die Māori nach 150 Jahre währendem Einsatz eine entsprechende Gesetzesänderung erwirken. Für sie hat der Whanganui eine große kulturelle Bedeutung, sie sehen in ihm ein lebendiges Wesen und einen Vorfahren.

Seit 2017 wird der Whanganui nun durch die Institution „Te Pou Tupua“, bestehend aus Mitgliedern der Regierung und der Māori, vertreten. Flüsse in Kolumbien und Indien folgten. 2022 wurde als erster Fall in Europa die spanische Lagune Mar Menor als Rechtsperson anerkannt.

Laut Max-Planck-Institut gab es zwischen 2006 und 2021 weltweit mehr als 400 verschiedene Bestrebungen in Sachen Naturrecht. Allein 20 Prozent dieser Initiativen bezogen sich auf Flüsse und „aquatische Ökosysteme“.

In manchen Ländern, zum Beispiel Ecuador, sind die Rechte der Natur seit einigen Jahren Teil der Verfassung. Dort hat die Natur seit 2008 die Hälfte aller Rechtsstreitigkeiten, vertreten durch menschliche Fürsprecher, gewonnen.

Aber gibt es nicht bereits Vorschriften und Initiativen, die die Natur in Deutschland – in unserem Fall den Rhein – schützen?

Rheinvertretung heute

Ja, die gibt es. Es existiert zum Beispiel eine „Internationale Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR)“, die sich aus Vertreter*innen der Anrainerstaaten Deutschland, Frankreich, Niederlande, Schweiz, Luxemburg, Belgien zusammensetzt und neben der Sicherung und Verbesserung der Wasserqualität auch die ökologische Wiederherstellung des Flusses fördert. In der EU-Wasserrahmenrichtlinie wiederum ist das Ziel festgeschrieben, bis 2027 einen „guten ökologischen und chemischen Zustand“ aller Gewässer in Europa zu erreichen. Dafür sollen Verschmutzung und Nährstoffbelastung reduziert, die Wasserqualität verbessert und Uferbereiche renaturiert werden.

Zudem gibt es auch geltende Umweltgesetze in Deutschland, beispielsweise das Wasserhaushaltsgesetz, das den Umgang mit Gewässern und die Kontrolle von Emissionen regelt.

Und wie sieht es mit Renaturierungsprojekten aus? Die laufen, auch am Rhein. Es geht zum Beispiel um die die Wiederherstellung von Seitenarmen und Auenlandschaften. Ein bekanntes lief von 1992 bis 2022 an der einst völlig verseuchten Emscher im Ruhrgebiet.

Das große Aber

Stand jetzt wird allerdings nur die Qualität von 8 Prozent der Fließgewässer in Deutschland mit „gut“ bewertet, und dass sind fast ausschließlich kleine Bäche. Der Rest steht „mäßig“ bis „schlecht“ da.

Bei Routine-Monitorings werden nur rund 100 von ca 30.000 Chemikalien, die wir im Alltag nutzen, überhaupt ermittelt. Alles andere könnte potenziell mitschwimmen – und Schäden anrichten. Wie zum Beispiel unerklärliche Fischsterben, die es immer wieder gibt.

Non-Target-Screening, wie es von der Bundesanstalt für Gewässerkunde in Koblenz betrieben wird, ist eine relativ neu entwickelte Möglichkeit, alle Stoffe zu detektieren, die das Wasser mit sich führt. Dadurch kann man Spurenstoffe aufgespüren, die sonst unerkannt Schäden anrichten. Diese Form des Screenings hat sich aber noch nicht durchgesetzt.

Außerdem gibt es noch Gesetzeslücken: Durch „technische Verlängerungen“, die beispielsweise Chemiekonzerne beantragen können, bleiben zum Teil seit Jahren Stoffe auf dem Markt (etwa für den Pflanzenschutz), deren Umweltschädlichkeit bereits bekannt ist und deren Rückstände vom Regen fröhlich in die Flüsse gespült werden, darunter PFAS, synthetische Fluorverbindungen, die zum Beispiel in Medikamenten, Farben, Imprägnier- und Pflanzenschutzmitteln oder Klimaanlagen vorkommen. Sie werden als Ewigkeitschemikalien bezeichnet, da sie sich nicht abbauen.

Dort, wo Menschen in die Natur eingreifen, entstehen meist Folge-Probleme. Neben der Verschmutzung sind auch die extremen Begradigungen unserer Fließgewässer ein Problem. Eingefriedete Flüsse sind ungleich flutgefährlicher als natürliche, in deren Auenlandschaften sich größere Wassermengen verlaufen können. Auch der Rhein ist, besonders im 19. Jahrundert zwischen Basel und Bingen, massiv begradigt worden. Dabei hat er rund 80 Kilometer an Länge eingebüßt. Johann Gottfried Tulla war es, der hier aus dem wilden Rhein Deutschlands Wasserautobahn machte.

Was würde sich also ändern, wäre der Rhein eine Rechtsperson und wo steht die Idee hierzulande?

Die Initiative „Rechte der Natur“ – ein Zusammenschuss aus Jurist*innen, Organisationen und engagierten Bürger*innen und Initiativen“, setzt sich für eine Änderung des Grundgesetzes ein.

Unter anderem soll ein neuer Absatz 2 hinzugefügt werden, der da lautet: „Die Würde der Natur gebietet, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, zu pflegen und zu wahren und den Eigenwert der natürlichen Mitwelt im Ganzen der Natur zu achten.“ Des Weiteren sollen die Grundrechte, „soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind„, auch für die Natur gelten – explizit erwähnt wird das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung.

Und warum interessiert das die BUGA-Bloggerin am Mittelrhein?

Weil es a) auch andere hier in der Region interessiert. Weil b) der Rhein das maßgebliche Element ist, das den Mittelrhein geformt und die Entwicklung menschlichen Lebens hier geprägt hat. Und weil ich c) selber am Rhein aufgewachsen bin und diesen Fluss nur als domestizierten Strom kenne.

In älteren Quellen und auf alten Bildern begegnet einem selbst der besiedelte Rhein noch als so viel natürlicheres Ökosystem. Es heißt, er sei reich an Fischen gewesen. Schiffer zu sein, bedeutete, sich auf ein Kräftemessen einzulassen. Der Fluss hat so viel Charakter, dass er personifiziert wird, für die Römer ist er „Vater Rhein“, später, im 19. Jahrhundert, ist dann von einer gewissen Dame, die die Wellen beherrscht. Kurzum: Die Menschen hier hatten mal ein anderes Verhältnis zu „ihrem“ Fluss. Die Rheinromantik spricht noch von einem wilden Rhein – einem Rhein, den es so heute nicht mehr gibt.

Natürlich ist der Rhein schon lange auch Nutz-Objekt: er wurde befischt und wird seit Jahrhunderten befahren. Doch landen erst seit jüngerer Zeit landen Abgase und andere Verunreinigungen in ihm, wurden ihm erst in jüngerer Zeit seine Ecken und Kanten genommen, damit er mit den Ansprüchen einer industrialisierten, globalisierten Welt mithalten kann.

Manchmal stelle ich mir vor, wie dieser mächtige Fluss wohl aussah, den die Römer eins „rhenus pater“ tauften und wie die Schiffe durch seine Stromschnellen navigierten, als Clemens Brentano die Loreley erfand. Wie die Ufer wohl aussahen, als noch keine Kreuzfahrtschiffe entspannt anlegen und noch keine Autos ihn überqueren wollten. Alle Annehmlichkeiten, die wir uns an und auf diesem Fluss erschaffen haben, haben sein Gesicht, aber auch sein Innenleben massiv verändert.

Es täte ihm gut, nicht noch mehr davon einzubüßen – vielleicht ist es sogar möglich, ihm ein wenig „Wildheit“ zurückzugeben. Und eine gesetzliche Grundlage könnte dabei dienlich sein. Nicht nur für den Rhein, sondern auch für die ihn umgebende Landschaft, für deren Erhalt hier in der Region verschiedenste Menschen und Initiativen kämpfen.

Fritz Stüber bringt es so auf den Punkt: „Die Natur als Rechtsperson beinhaltet für mich auch immer den Schutz des Menschen als Teil der Mitwelt/Natur. Ich verstehe all das als ein ‚Wir‘. Der Rhein ist ein symbolträchtiger Fluß und insofern ein idealer Proband für das Thema mit großer Öffentlichkeitswirkung. Der Rhein als Rechtsperson hätte für Deutschland und weit darüber hinaus die Signalwirkung eines Neubeginns.“


Wie stündet ihr dazu, dem Rhein mehr Rechte einzuräumen?

Einen spannenden Einblick in den Zustand der Fließgewässer in Deutschland gibt diese Doku des SWR:

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