Ich bin ein Millennial und gehöre damit zu einer Gruppe Menschen in Deutschland, die mit dem Fernsehphänomen TV Total aufgewachsen sind. Die sogenannten „Nippel“, kurze Clips aus anderen Fernsehsendungen, die von Stefan Raab per Knopfdruck in die Sendung eingespielt wurden, waren das, was heute Memes sind. Insider einer Generation. In meiner Schulzeit ging ein Clip viral, in dem sich eine Schülerin als Geschichtsmuffel outete: „Die machen ihr Ding, ich mach mein Ding. Diese komischen Römer und so. “ Damals machten wir uns darüber lustig – als Kinder aus privilegierten Haushalten, die Bildung in die Wiege gelegt bekamen. Dabei steckt hinter der Aussage dieses Mädchens eine vollkommen legitime Frage: Was habe ich heute noch mit Leuten zu tun, die vor hunderten oder tausenden Jahren gelebt haben und warum sollte ich mich dafür interessieren? Als ich Dr. Angela Kaiser-Lahme diese Anekdote erzähle, lacht sie. Denn Antworten auf genau diese Frage zu geben, ist ihr Beruf und ihre Leidenschaft.
Ich treffe Kaiser Lahme, Leiterin der Direktion Burgen Schlösser Altertümer (kurz BSA), auf Festung Ehrenbreitstein, ihrem Amtssitz in Koblenz. Eine wache Frau mit herrlich schnellem, direktem Sprachduktus und offenkundig vorhandenem Humor, die mich nicht in die „offiziellen Räume“ ihres Büros komplementiert, sondern beschließt, dass es bei der Hitze eine viel bessere Idee sei, sich zu den Besucher*innen der Festung in den Biergarten zu setzen und eine Limo zu trinken.
Forschergeist
Schon in der Schule habe sie sich für Geschichte interessiert, erzählt die promovierte Historikerin. Nach dem Unterricht schaute sie den gelernten Stoff auch in den Büchern ihrer Eltern nach und merkte bald, dass es zu vielen vermeintlichen Fakten eine gemischte Informationslage gibt. „Da wollte ich wissen: Wie ist es denn wirklich? Und wie finde ich das heraus?“, erzählt sie.
Also studiert Kaiser-Lahme in Bonn internationale Beziehungen, ein Studienfach, der einen großen Teil Geschichte beinhaltet, und promoviert über englische Deutschlandpolitik. Mit dem Doktortitel in der Tasche geht sie schnurstracks nach London, um dort am Deutschen Historischen Institut zu arbeiten. Anlässlich ihrer Hochzeit zieht Kaiser-Lahme einige Jahre später wieder nach Deutschland zurück.
Mit dem Museumsbereich findet sie hier ihren optimalen Schaffensraum. Denn Angela Kaiser-Lahme forscht nicht nur gern, sie teilt ihre Erkenntnisse auch gerne mit anderen. „Aber wenn man in der rein akademischen Welt bleibt, sind die Möglichkeiten, Dinge an Mann und Frau zu bringen, relativ begrenzt. Im Museumsbereich kann man an viele unterschiedliche Menschen herantreten“, sagt sie. Tatsächlich hat Kaiser-Lahme eine Fähigkeit, die vielen promovierten Kolleg*innen während der akademischen Laufbahn abhandenkommt: Sie kann das Wissen einer Expertin in die Sprache eines Laien verpacken. Und das kommt nicht von ungefähr.
Vermittlung
Als sie im Museumskontext anfängt, wird Angela Kaiser-Lahme Teil eines Umbruchs: Wo man vorher einfach beschriftete Vitrinen aufgestellt und Besucher*innen sich selbst überlassen hatte, kam nun der Vermittlungsgedanke auf:
„Durchdachte Museumstexte, zusammenhängende Ausstellungskonzepte. Das gab’s damals noch nicht. Wir mussten Pionierarbeit leisten und die Standards neu definieren. Was meine Mitarbeiter heute machen, das habe ich damals mit entwickelt“, erzählt die BSA-Direktorin. „Jeder ist gleich wichtig und jedem muss der gleiche Respekt entgegengebracht werden. Wenn ich eine Botschaft rüberbringen will, muss ich eben lernen, die Sprache des Anderen zu sprechen. Dazu gehört auch immer, mich selbst zu fragen: Ist angekommen, was ich vermitteln wollte? Und es im Zweifelsfall nochmal zu versuchen.“
2001 wird sie Abteilungsleiterin im Landesmuseum Koblenz und wechselt einige Jahre später in die Generaldirektion Kulturelles Erbe. Hier hat es Kaiser-Lahme seither mit fast 80 unterschiedlichen Liegenschaften zu tun – und zwar als übergeordnete Instanz zwischen Vermittlung, Denkmalpflege- und Entwicklung.
„Unsere Abteilung wurde gegründet mit dem Ziel, unser Kulturlandschaft allen Menschen zugänglich zu machen“, sagt Kaiser-Lahme. Im Wirkungsbereich der Burgen, Schlösser und Altertümer ist das durchaus herausfordernd, weil die Besuchergruppen sehr breit gestreut sind. Vom Kleinkind bis zum Rentner müssen die Angebote möglichst vielseitig und allgemein verständlich sein. Hinzu kommt die Barrierefreiheit.
Zugänglichkeit
Neben dem hohen Bedarf an Informationsmedien in einfacher Sprache gibt es vor allem für Menschen mit körperlicher Einschränkung noch große Hürden. Wo es geht, wird an barrierefreien Zugängen zu den und Wegen innerhalb der Liegenschaften gearbeitet. Sind die Grenzen eines Ortes unüberwindbar, kommen spezielle Vermittlungsangebote zum Einsatz – zum Beispiel 3D-Modelle, an denen gerade vermehrt gearbeitet wird.
Außerdem gehört es zu den Aufgaben der Generaldirektion, überhaupt dafür zu sorgen, dass Menschen die Kulturdenkmäler besuchen – und das nicht „nur“ durch die Vermittlung historischer Informationen, sondern auch durch Veranstaltungsangebote wie Konzerte. Kaiser-Lahme versteht „ihre“ Burgen nicht allein als Speicher historischer Informationen, sondern sieht auch ihre Qualitäten als Orte mit besonderem, alltagsfernen Ambiente. Nicht jeder, findet sie, müsse sich unbedingt für Geschichte interessieren, um etwas aus einem Burgbesuch zu ziehen.
Wer es doch genauer wissen möchte, wird allerdings mit interessanten Erkenntnissen belohnt. Inwiefern der Nachlass unserer historischen Vorgänger uns noch betrifft, erläutert die Historikerin am Beispiel des preußischen Festungsbaus: „Die Abläufe waren hierarchisch organisiert, vom Ministerium bis hinunter zu den umsetzenden Gewerken. Die einzelnen Aufgaben in der Bauabwicklung wurden per Los ausgeschrieben. Diese Art der Bauorganisation ist bis heute maßgeblich im öffentlichen Bauen.“ Für alle, die sich in die Geschichte des Mittelrheins hineinarbeiten möchten, empfiehlt Kaiser-Lahme das Buch „Wer will des Stromes Hüter sein?“. Darin erhalte man einen übersichtlichen Einstieg in die bewegte und bisweilen verwirrende Historie des Burgenbaus am Mittelrhein, der übrigens auch ihre eigene Heimat ist.
Ob sie selber eine Lieblingsburg habe? Kaiser-Lahme macht große Augen und lacht. Das sei wirklich schwer, aber: „Die Burg Pfalzgrafenstein ist einer der schönsten Orte überhaupt! Das Erlebnis mitten im Rhein ist schon besonders. Zudem wurde die Festung nie zerstört und ist damit historisch sehr spannend. Ich entdecke jedes Mal etwas Neues, wenn ich dort bin.“ Auch der Pergolagarten auf Schloss Stolzenfels sei ein Juwel, das seinesgleichen suche.
Erhalt
Wenn man dieses Thema mit der Historikerin anschneidet, ist ein anderes nicht weit: Der Erhalt dieser einzigartigen historischen Stätten. Und dafür gibt es keine Blaupause, denn jede Fläche hat ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten. „Eine meiner Hauptaufgaben ist es, mir zu überlegen, mit welchem Gesamtziel wir eine Liegenschaft anpacken. Bevor ich eine Renovierungsmaßnahme beauftrage, muss ich wissen, was insgesamt mit dem Ort passieren muss. Das geht bis hin zu Nutzungskonzepten mit klaren Funktionszuweisungen einzelner Räume und Gebäudeteile“, erklärt sie. Während sie spricht – stets schnell und ausführlich – scheint ihr Geist ständig in Bewegung zu sein. Multitasking gehört wohl dazu bei jemandem, der für das Wohl von fast 80 Altertümern und 30 Mitarbeitenden Verantwortung trägt
Auch die umfassende Sammlungspflege liegt bei Kaiser-Lahme und ihrem Team. Über 15.000 Objekte müssen erfasst und wissenschaftlich bearbeitet werden. Besonders im Angesicht des Klimawandels werden Denkmal- und Sammlungspflege immer dringlicher. Denn durch Temperatur- und Witterungsveränderungen sind auch die Altertümer des Mittelrheins akut gefährdet.
(Hierzu mehr im bald erscheinenden Themenbeitrag „Klima und Kulturlandschaft“.)
In Anbetracht der Aufgabenvielfalt, die auf Angela Kaiser-Lahmes Schreibtisch zusammenläuft, verwundert es nicht, dass die Direktorin trotz Multitaskingfähigkeit selten mit den gängigen Arbeitszeiten auskommt. Auch heute opfert sie einen Teil ihrer Freizeit, um ihre Anliegen zu kommunizieren.
Man kommt nicht umhin, sich von der Begeisterung der 64-Jährigen anstecken zu lassen. Schade eigentlich, dass Angela Kaiser-Lahme keine Führungen gibt. Mir hat sie einige Verständnistüren geöffnet und Lust gemacht auf viele hundert Jahre Geschichte am Mittelrhein, die – wenn man die richtigen Vermittler*innen findet – gar nicht so undurchdringlich und von unserer heutigen Realität entkoppelt sind, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Ich werde bei jedem städtischen Bauprojekt, dem ich in Zukunft begegne, an die preußische Festungsbauordnung denken…
Mehr über die Burgen des Mittelrheins findest du HIER.
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