Frauen, die selbstbewusst wirken wollen, sollen Rot tragen, so raten es diverse Beiträge in Modezeitschriften. Abgesehen davon, dass solche Tipps grundsätzlich etwas albern sind, hat die großgewachsene Burgunde vom Hahn, der ich an einem warmen Augustnachmittag gegenübersitze, das absolut nicht nötig. Auch ohne ihren perfekt sitzenden rubinroten Catsuit würde sie einen selbstsicheren Eindruck machen. Denn das ist sie auch. Und dennoch bodenständig. Eine Frau mit Charakter, aber keine, die sich aufdrängt.
Modern und traditionell
In einer fließenden Bewegung setzt sie sich mir gegenüber und nimmt eine abwartende Haltung ein. Sie trägt ein wertiges Parfüm, was man daran merkt, dass es auf die Entfernung zwar nur sehr dezent meine Riechzellen streift, die einzelnen Aromen aber dennoch deutlich hervortreten. Wie die Worte eines geübten Synchronsprechers, den man auch flüsternd glasklar versteht. Da sind Kirsche, Holunder, Himbeere, eine Feuersteinnote und etwas leicht Holziges.
Burgundes Name ist eigentlich zu altmodisch für sie. Ich weiß, dass die Spätburgunders eine Unmenge verschiedener Namen angenommen oder erhalten haben.
Pseudonyme gibt es Dutzende. Zum Teil sind die ziemlich bescheuert. „Klebroth“ und sowas. Ich finde, das passt nicht so richtig zu einer Familie, die derart aristokratisch daherkommt, dass sie von Kennern als „königlich“ gepriesen wird.
Eine vielseitige Familie
Aber so unterschiedlich, wie die Spätburgunders sich in ihren verschiedenen Regionen spezialisieren, ist es eigentlich kein Wunder, dass sie sich auch namentlich immer mal neu erfinden. Ob sie auch mal über einen Künstlernamen nachgedacht hat?
„Nein“, lacht Burgunde. „Obwohl ich finde, dass die Pinot-Noirs durchaus einen wohlklingenden Namen gewählt haben. Ich gebe zu, dass Burgunde etwas schwerfällig klingt. Aber ich mag meine Heimat und die darf man durchaus direkt erkennen, wenn man meinen Namen hört.“
Wirkte sie bis hierher sehr kosmopolitisch, verrät der Dialekt spätestens jetzt ihre Herkunft. Ein deutlicher Schiefer-Einschlag manifestiert sich in ihrem Sprachduktus, ähnlich wie bei den Mittelrhein-Rieslings, einer anderen großen Dynastie, deren hier ansässigen Zweig ich auch schon kennenlernen durfte.
„Mein Familienzweig ist hier schon lange ansässig. Allerdings ist die Ahnentafel nicht ganz vollständig. Unsere Ursprünge sind bis heute ein kleines Geheimnis. Manche sagen, wir kommen ursprünglich aus der Schweiz, andere verorten die Ur-Ahnen meiner Familie mehr in Frankreich. Ziemlich sicher sind wir, dass die ersten Spätburgunders vor 2.000 Jahren die Familie begründet haben. Um 884 sind wohl einige nach Deutschland ausgewandert und haben hier bei Zisterziensermönchen gelebt“, erzählt sie.
Noch immer ist ein Großteil der Familie – die bereits erwähnte Pinot-Linie – in Frankreich ansässig. Nicht wenige finden dort ihre Erfüllung im Champagner-Segment. „Es ist schon besonders, zu wissen, dass wir zu den drei hauptbeteiligten Familien gehören, die in der Champagne Erfolg haben. Wir sind insgesamt ziemlich vielseitig. Manche von uns gehen sogar unter die Weißweine – klingt komisch, geht aber mit ein paar ‚Schönheitseingriffen‘“, sagt Burgunde und lacht. „Die nennen sich dann Blanc des Noirs.“
Ein Abbild ihrer Heimat
Mir gefällt dieser trockene Humor, das Spritzige, Präsente in ihrer Ausstrahlung. Je länger man mit Burgunde zusammensitzt, desto mehr feine Details lassen eine tiefere, ursprünglichere Ebene an ihr erahnen. Eine gewisse Beherztheit in den Bewegungen, eine leicht herbe Mimik verraten, dass hinter dem stylish-roten Gewand eine Naturfreundin steckt, die unter freiem Himmel am glücklichsten ist.
Und zwar nicht unter irgendeinem Himmel, sondern unter dem Himmel des Mittelrheins. „Ich mag es hier. Ich schaue jeden Tag direkt aufs Wasser. Dieser Blick – das ist etwas Besonderes. Ich weiß gerne, wo ich stehe, habe gerne festen Boden unter den Füßen. Hier kann ich tiefe Wurzeln schlagen, habe aber trotzdem das Gefühl, zu schweben, wenn ich frühmorgens nach einer kühlen, klaren Nacht über den Rhein schaue“, sagt Burgunde und schaut, als würde sie auch jetzt gerade den Wingert hinabblicken. „Verstehst du, was ich meine?“
Das tue ich. Und muss unwillkürlich daran denken, wie viel Niederschlag es in den vergangenen Wochen gab. Das gefällt ihr sicher nicht. Die „Königin der Reben“ steht, soviel weiß ich, nämlich nicht gern im Regen.
INFO:
Modelle für dieses zweite Rebsortenporträt waren verschiedene Spätburgunder des Weinguts Toni Jost, insbesondere der 2020er Spätburgunder „Im Hahn“ GG. Dieser exzellente Spätburgunder hat mich überrascht mit einer beeindruckenden Kombination aus Kirsch-, Holunder- und Himbeernoten, erfrischender Mineralität und Säure sowie leicht herben Schiefernoten, die an Pfeffer und Nelke erinnern. Ein Wein, der den Mittelrhein schmecken lässt!
Vielen Dank an Cecilia Jost, die sich viel Zeit genommen hat, mir ihren Betrieb zu zeigen und all meine Fragen zu beantworten. Eine Chefin, die mit so viel Leidenschaft, Bescheidenheit und Wärme über ihren Beruf und die Arbeit im Team spricht, dass es nur noch mehr Freude macht, die Früchte ihrer gemeinsamen Arbeit zu kosten!
Über Toni Jost:
Das 15 ha große Weingut Toni Jost existiert in siebter Generation und gehört damit zu den ältesten Weingütern der Region. Winzerin Cecilia Jost führt das Unternehmen, dessen Anbaufläche sich auf Mittelrhein- und Rheingau-Lagen aufteilt. Top- und Monopol-Lage des Familienunternehmens ist der Bacharacher Hahn: hier wachsen große Rieslinge und Spätburgunder heran. Das Weingut Toni Jost gehört bereits seit vielen Jahrzehnten zum Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP). Der Gault & Millau hat Cecilia Jost 2024 als aufregende Nachwuchswinzerin ausgezeichnet.
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