Der BUGA-Dialog „Brennpunkt Klimawandel: Kulturelles Erbe im Hitzeschock“ brachte die unterschiedlichsten Akteur*innen in der Stadthalle Boppard zusammen. Vertreter*innen der Generaldirektion Kulturelles Erbe, Wissenschaftler*innen, Burgenpächter*innen und -besitzer*innen, Planungsbüros, Garten-Landschafts-Architekt*innen und Leute aus der Forstwirtschaft. Sie alle teilen die Sorge, die auch den Rest der Welt gerade beschäftigt oder beschäftigen sollte: den Klimawandel. Denn sie alle können dessen Auswirkungen bereits jetzt deutlich in ihrer täglichen Arbeitsumgebung erkennen. Ob Baum, Stein oder Rebe – die Kulturlandschaft, die den Mittelrhein seit Jahrhunderten prägt, ächzt schon jetzt unter Hitze, Trockenheit und Starkregen.
Der Wald – Wie steht es um die grüne Lunge des Mittelrheins?
Dass Wälder unerlässlich für ein gesundes Klima sind, global wie regional, ist inzwischen hinreichend bekannt. Bäume „recyceln“ CO₂ zu Sauerstoff, den wir zum Atmen brauchen. Sie sind Schattenspender und wirken wie eine natürliche Klimaanlage.
Wald als Teil der Kulturlandschaft Mittelrhein
Wald ist die Hauptkulturform in der Bewirtschaftung des Mittelrheins durch den Menschen. Besonders die hier wachsenden Eichen dienten lange als vielseitige Nutzpflanzen: Ihre Rinde wurde zur Gewinnung von Gerbstoffen abgetragen, der Baum nach einiger Zeit der Lohe-Gewinnung gefällt und zu Brennholz verarbeitet. Diese sogenannte Niederwaldwirtschaft wurde bis in die 1960er betrieben.
„Die Eiche hat die Fähigkeit, sich vegetativ zu vermehren. Das heißt, wenn man sie abholzt, kommt aus derselben Wurzel ein neuer Trieb mit dem gleichen genetischen Potenzial raus. Man nennt das Stockausschläge. Die Wurzel aber bleibt die gleiche, heißt: Die Stämmchen sind zwar immer recht jung, stehen aber auf einer uralten Wurzel. Und dementsprechend vital sind die Bäume auch. Wenig vital“, erklärt Axel Henke, Leiter des Forstamts Boppard.
Beim Klima-Dialog war er einer derjenigen, die sehr deutliche Worte für den Zustand der Kulturlandschaft fanden. Mal sehen, wie viel Wald bei der BUGA 2029 noch steht – so ungefähr die Haltung. Und das mit gutem Grund.
„Durch die Wärme haben wir hier eine Verlängerung der Vegetationsperiode um 22 Tage. Eine dicke alte Buche braucht bis zu 400 Liter Wasser pro Tag, man kann sich vorstellen, wie sich das auf den Wasserbedarf des ganzen Ökosystems auswirkt.“
In Rheinland-Pfalz herrscht momentan eine Klimaerwärmung von 1,7 Grad im Vergleich zum Beginn der Wetteraufzeichnung 1881. „Durch die Wärme haben wir hier eine Verlängerung der Vegetationsperiode um 22 Tage. Das heißt, zwölf Tage beginnt die Vegetationsperiode früher. Die Bäume denken ‚Oh, es ist warm, es wird Frühling‘ und treiben aus“, erklärt Henke. „Weil es auch länger warm bleibt, dehnt sich die Vegetationsperiode auch nach hinten um 10 Tage aus. Eine dicke alte Buche braucht bis zu 400 Liter Wasser pro Tag, man kann sich vorstellen, wie sich das auf den Wasserbedarf des ganzen Ökosystems auswirkt. Laut Prognosen des Kompetenzzentrum für Klimawandelfolgen RLP, mit dem wir im engen Austausch stehen, könnten wir hier am Mittelrhein in den nächsten 100 Jahren einen Temperaturanstieg von drei bis sechs Grad erleben, was für ein Ökosystem eine Katastrophe ist.“
Status quo Eichensterben
Besonders die Hangköpfe seien vom Wassermangel betroffen, da das Wasser den Bäumen hier buchstäblich entrinnt. Dieses Jahr wurden vom Bopparder Forstamtsteam rund 400 Hektar stark geschädigte Niederwaldflächen kartiert. Das sind mehr als zehn Prozent der 3.300 Hektar Gesamtfläche, die der Stadtwald Boppard umfasst. Die alten, schwachen Wurzeln dieser ehemaligen Wirtschaftsbäume haben keine Kraft mehr, die großen, vergleichsweise jungen Stämme mit ausreichend Flüssigkeit zu versorgen. Kommt es zu Trockenperioden, hat der Baum keine Chance mehr.
„Seit sechs Jahren haben wir jetzt diese trockenen Sommer. Eichen reagieren darauf mit einer Überlebenstaktik, die man hier gerade an vielen Stellen sieht: Die Baumkrone trocknet ab und es bilden sich neue Austriebe weiter unten. Das ist eine Stressreaktion der Bäume, wenn sie stark geschwächt sind“, sagt Henke. „Jetzt kam noch ein Schädling dazu, der Eichenprachtkäfer, der parallel dazu die Bäume befallen hat. Wir befürchten Schlimmstes: dass diese Wälder komplett absterben.“
Ein Absterben der Waldflächen hätte verschiedene Negativfolgen. Zum einen für das regionale Klima – es könnte in den Tallagen noch heißer werden. Zum anderen für Autofahrer, Zugverkehr und Anwohnende, die durch umstürzende Stämme oder Hangrutsche gefährdet würden. Und drittens für die Waldbesitzer, denen mit dem Versuch, den Wald zu erhalten, hohe Kosten entstehen. Was also tun? Die Antwort ist viel Arbeit in den Forstbetrieben.
Ausblick: Mischwälder und Daumen drücken
„Wir benötigen neue Konzepte zum Walderhalt, viel Austausch und Information mit den Betroffenen und anderen Fachexperten, Finanzen für die Waldbesitzer und Mut, neue Wege zu gehen, um an diesen Standorten die Wälder zu erhalten“, fasst er die Lage zusammen.„Unsere Hauptaufgabe ist die Erhaltung vom Wald, und die wird teuer. Bei der Baumartenwahl für die Aufforstung denken wir auch schon an trockenliebendere Baumarten aus dem mediterranen Raum, die nicht viel Wasser brauchen. Mischwälder braucht es, damit Alternativen da sind, falls es eine Baumart nicht schafft.“
Dabei treffen er und sein Team auf zwei große Unbekannte. Die Erste ist das Klima selbst: Da viele Jahrzehnte vorausgeplant werden muss, müsste man jetzt schon wissen, wie das Klima in 100 Jahren aussieht. Die zweite Unbekannte sind die physiologischen Grenzen der bereits existierenden heimischen Baumarten. Stand jetzt kommen manche von ihnen noch recht gut klar mit dem wechselhaften Wetter zwischen Frost und Hitze, leiden aber zunehmend unter der anhaltenden Trockenheit. Die meisten mediterranen Baumarten wiederum seien den aktuellen Temperaturen im Winter noch nicht gewachsen.
Eine vielseitige Mischbepflanzung mit mindestens drei verschiedenen Baumarten wird bereits in verschiedenen Formen auf Testflächen erprobt. Denn diverse Hektar Wald zu pflanzen, ist nicht nur aufwändig, sondern auch teuer. Da will man schön möglichst sicher sein, ob sich die Investition wirklich rechnet. Darauf zu warten, dass die Natur sich nach dem großen Waldsterben vielleicht selbst regeneriert, sei absolut keine Option. Wenn die Bewaldung großflächig ausfällt, fehlt dem Erdreich der Halt durch das Wurzelwerk und der Schutz vor Wettereinflüssen. Es entsteht eine stärkere Bodenerosion und ein größeres Hangrutsch-Risiko. Zudem würde ein Fehlen des Waldes zu einer weiteren Erhitzung der Städte führen. Und nicht nur dort. „Der Wald küsst hier am Mittelrhein an vielen Stellen die Reben, die von den kühlen Abwinden aus dem Wald profitieren“, sagt Henke.
Eine interessante ARD-Doku zum Thema findet sich HIER.
Der Wein – Wie geht es den Reben, die die Region prägen?
Die weitläufigen Rebflächen sind der zweite, charakteristische Teil der mittelrheinischen Kulturlandschaft. Und auch dieser Teil trifft mit dem Klimawandel auf gleich mehrere Probleme.
Wein als Teil der Kulturlandschaft Mittelrhein
Am Mittelrhein wird seit über tausend Jahren Wein angebaut. Etabliert haben sich vor allem Riesling und Spätburgunder als Rebsorten, die in dieser Region eine besondere Qualität erreichen. Doch, ob das so bleiben wird, ist fraglich. Nicht allein aufgrund unvorhersehbarer Wetterlagen, die grundsätzlich die Ernten angreifen, sondern auch, weil sich das hiesige Klima mehr und mehr von der Komfortzone der Rebsorten wegbewegt. Das gilt vor allem für den Riesling. Riesling mag es kühl – aber nicht zu frostig. Auch zu viel Regen tut ihm nicht gut.
Status quo: Ernteausfälle und Alkoholanstieg
2024 haben viele Winzerbetriebe starke Ernteausfälle erlebt. Erst durch Spätfrost, dann durch Starkregen. „Wir gehen nicht lesen“, habe ich einen Winzer zum anderen sagen hören. „Hängt ja nix.“ Eine bittere Pille, die manche besser schlucken konnten als andere. Nur wer viel Fläche, ausreichend helfende Hände und das nötige Kleingeld hatte, konnte damit einigermaßen umgehen.
An der Hochschule Geisenheim schaut man bereits 50 Jahre in die Zukunft. Hier wird auf speziellen Testfeldern und an Riesling und Cabernet Sauvignon simuliert, wie die Pflanzen wachsen, wenn eine veränderte Luftzusammensetzung mit erhöhten CO₂-Werten vorherrscht. Die „FACE-Anlagen“, kreisrunde Konstrukte metallener Gas-Abgabe-Elemente, machen das möglich. Auch an Spinat, Radieschen und Gurken wird die Luft der Zukunft getestet. Diese Anlage ist weltweit einzigartig.
Aktuell geht man davon aus, dass durch die größere CO₂-Belastung die Blätter der Reben schrumpfen und die Fotosyntheseleistung abnimmt. Das hätte eine Ertragsminderung zur Folge. Durch die längere Vegetationsperiode, die natürlich nicht nur die Wälder, sondern auch die Reben betrifft, reift der Riesling schneller und bildet mehr Zucker aus – was zu erhöhten Alkoholgehalten führt. Zumindest, wenn man trockenen Wein produzieren möchte. Dann muss der enthaltene Zucker komplett in Alkohol umgewandelt werden. Lag der Normalwert trockener Weine früher noch bei 10,5 bis 13 % Alkohol, findet man heute kaum noch eine Flasche unter 14 oder 15 %.
Mögliche Lösungen?
Um dieses Problem zu haben, muss man es aber überhaupt erst schaffen, den Wein vor der sengenden Hitze zu schützen. Riesling bekommt schnell Sonnenbrand. Abhilfe könnten Fotovoltaik-Sonnensegel schaffen, wie sie ebenfalls an der Uni Geisenheim getestet werden – die dürften allerdings nicht UNESCO-tauglich sein.
Als mögliche Kulturform der Zukunft wird in Geisenheim der Vitiforst erforscht, eine Mischbepflanzung mit Weinreben, Bäumen, Kräutern und anderen Nutzpflanzen. Darin liegen verschiedene Vorteile: zum Beispiel eine natürliche Beschattung der Reben und eine größere ökologische Vielfalt.
Generell spielt die klimatische Veränderung des Mittelrheintals eine große Rolle für die Forschung und Lehre in Geisenheim. 2020 hat die Hochschule, gemeinsam mit der TH Bingen und der Uni Koblenz, eine große Klimafolgestudie herausgegeben. Darin geht es vor allem um Ressource und Risiko Wasser. Starkregen und Sturzfluten, Niedrig- und Hochwasser – für all diese Szenarien sollen von den Kommunen mögliche Anpassungsszenarien entwickelt werden.
Die Bauwerke – Stein ist stark, oder?
Auch Baudenkmäler sind Teil der Kulturlandschaft Mittelrhein. Sie bestimmen das Landschaftsbild hier seit dem 13./14. Jahrhundert und wurden aus dem Gestein errichtet, das die Geologie des Mittelrheintals bestimmt. Doch auch vermeintlich unkaputtbarer Stein ist nicht vor den Einflüssen des Klimawandels gefeit.
Status quo: Neue Herausforderungen
„Dass der Klimawandel ein Thema für uns ist, wurde aus meiner Sicht vor sechs, sieben Jahren sichtbar. Aber man hat damals noch keine Vorstellung dafür entwickeln können, welche Auswirkungen das hat. Jetzt müssen wir handeln. Geredet ist genug. Die Fakten sind da, wohin die Reise geht, ist klar“, sagt Dr. Angela Kaiser-Lahme energisch. Die Historikerin leitet die Generaldirektion Kulturelles Erbe und ist in dieser Funktion für die Pflege, den Erhalt und die Entwicklung von 78 Liegenschaften zuständig. „Wir müssen mit konzertierten Aktionen ressortübergreifend dieses Thema angehen. Allein, weil so viele Ressourcen organisiert werden müssen. Denn bis man Veränderungen auf den Weg gebracht hat, dauert es seine Zeit.“
Und die Auswirkungen sind vielfältig. Burgbesitzer*innen oder -pächter*innen stehen teilweise vor sehr individuellen Herausforderungen, die es bisher nicht oder nicht im jetzigen Ausmaß gab. Auf Burg Rheinstein zum Beispiel hat die sommerliche Hitze der Beschichtung der historischen Buntglasfenster massiv geschadet. Ein nie dagewesenes Problem für die Familie Hecher, der die Burg in dritter Generation gehört.
„Wir müssen mit konzertierten Aktionen ressortübergreifend dieses Thema angehen. Allein, weil so viele Ressourcen organisiert werden müssen. Denn bis man Veränderungen auf den Weg gebracht hat, dauert es seine Zeit.“
Eine der größten Gefahrenherde seien Mauerkronen an Burgen und Schlössern, die durch die Hitze porös geworden sind, berichtet die GDKE-Direktorin. Das Institut für Steinkonservierung in Mainz forscht bereits an möglichen Lösungen.
Auch der Wald um die Bauwerke herum kann zur Gefahr werden, wenn – wir hatten es bereits – schwache Bäume umstürzen. Große Sorge bereiten den Burgbesitzer*innen auch Hangrutsche, wie es sie 2023 in Trechtingshausen und 2021 in Kestert gegeben hat. Das Landesamt für Geologie hat die Gefahrenzonen ermittelt.
Ein weiteres großes Thema für die GDKE ist der Erhalt der Burggärten. „Kunsthistorisch, ist der Garten von Linné auf Stolzenfels das absolute Top-Denkmal“, sagt Angela Kaiser-Lahme. Entsprechend arbeite das Gärtnerteam hier bereits an einer Klimaanpassung der Bepflanzung und Bewässerung. Man verfolge hier eine „Verjüngung aus dem Bestand“, sagt Kaiser-Lahme. Nachkommen bestehender Bäume werden gezielt nachgezüchtet, um ihre kranken Vorfahren nach Möglichkeit zu ersetzen. Auch auf Burg Sooneck sollen die historischen Gärten gesichert werden. Erst kürzlich hat dort Gartendenkmalpflegerin Dr. Hombach den Pflanzen-Bestand geprüft und ein neues Gestaltungskonzept samt Bewässerungsstrategie entwickelt, um künftige Besucher*innen weiterhin mit blühenden Beeten begeistern zu können.
Ausblick: Denkmalpflege neu denken
Die alten Gebäude brauchen ein gutes Monitoring. Erkennbare Gefahrenherde werden nach Möglichkeit jetzt schon entfernt. Sofern Zeit, Personal und Geld da ist. Drei knappe Ressourcen, wie wir wissen.
Doch nicht nur an der Verhinderung von Katastrophenfällen wird gearbeitet. Auch eine adäquate Reaktion auf alle möglichen Szenarien muss für jede Liegenschaft entwickelt werden.
Auf den Burgen gibt es massenhaft historische Bestände an Kunst, Kunsthandwerk, historischen Möbel et cetera. Die speziell entwickelten und zu entwickelnden Sicherheitskonzepte der GDKE schreiben vor, wie was im evakuiert und archiviert wird – sofern das möglich ist.
SWR-Aktuell hat kürzlich einen Beitrag über die klimatischen Auswirkungen und mögliche Lösungen am Beispiel Burg Rheinstein veröffentlicht. HIER geht’s zum Beitrag.
Und nun?
Klimaschutz der Kulturlandschaft am Mittelrhein ist ein Geflecht vernetzter Risiken. Überall lauern potenzielle Domino-Effekte von Wald zu Wein zu Burg zu Mensch. Und nur Letzterer kann daran etwas ändern. Das einzig Gute an dieser Verflechtung: Wo sich Handlungsbedarfe treffen, kann an gemeinschaftlichen Lösungsansätzen gearbeitet werden.