Wo kommt eigentlich der Wein her?

Es ist der letzte Montag im September, die Rheintöchter tanzen auf dem Rhein und der Nebel umhüllt auch Burg Sooneck. Ich mache mich früh auf den Weg nach Bacharach Steeg zum Weinhaus Zur Fledermaus. Meine erste Weinlese steht bevor. Gemeinsam mit Eckhardt, Sonja, Frank und Jakob geht es hinauf in die Weinberge. Ich darf vorne auf dem Trecker mitfahren. Während es mächtig wackelt und der Motorenlärm kaum eine Unterhaltung zulässt, denke ich daran, dass hier quasi alles begann. Bereits bei der Wein-Wildkräuter-Eselswanderung beim Weinblütenfest Mitte Juni hatte ich Eckhardt gefragt, ob ich wohl bei der Weinlese helfen könne. Mehr als drei Monate später ist es nun soweit.

Wir kommen bei den Weinreihen an, die heute gelesen werden sollen. Eckhardt gibt mir eine kurze Einführung über Edelfäule – die super für das Weinaroma ist – und der schlechten Fäule, bei der die Trauben einfach nur nach Essig schmecken und oft kleine Fliegen aus den Trauben entweichen. Diese Trauben dürfen nicht mit ins Bittche (die orangenen Kiste). Während ich beginne die Riesling-Reeben abzuschneiden, lichtet sich der Morgennebel mehr und mehr. Die Burg Stahleck ist nun zu erkennen und der Rhein natürlich auch. Was für eine Aussicht! Sonja liest in der Reihe neben meiner, kommt immer wieder dazu, hilft mir oder beantwortet Fragen, wenn ich unsicher bin, ob diese Trauben ins Bittche gehören. Spannend, dass gerade die dunklen, fast vertrockneten Trauben, besonders gut für den Wein sind. Andererseits fehlt nicht mehr viel und aus ihnen werden Rosinen und die sind ja bekanntlich noch süßer als die Weintraube an sich und mehr Zucker ergibt auch mehr Alkohol.

Die körperliche Arbeit macht mir Spaß. Mit klebrigen Händen konzentriere ich mich darauf, die Riesling-Reben zu schneiden und in das Bittche zu tun. Komplizierte Gedanken und Entscheidungen sind heute mal nicht gefragt. Aber manchmal sind die Rebzweige so dicht oder verwachsen, dass es einiges Fingerspitzengefühl bedarf, um sie schließlich in Händen zu halten. “Da weißt du, was du am Abend gemacht hast”, sagt Sonja schmunzelnd. Denn natürlich ist die Weinlese auch harte Arbeit und für die meisten Leser*innen ein Job, für den sie extra zwei bis vier Wochen ins Tal kommen und von früh bis abends Wein lesen.

Bei uns geht es da gemütlicher zu. Sonja und Eckhardt werden jedes Jahr von Familie, Freunden und Bekannten bei der Weinlese unterstützt und wollen ihren Gästen die Zeit so angenehm wie möglich gestalten. Nach der ersten gelesenen Reihe werden die randvollen Bittchen von Eckhardt und Frank mit dem SMS (Steillagenmechanisierungssystem) oder kurz Bittchenwagen eingesammelt. Diesen hat Kurt aus Steeg extra für sie gebaut. Aus einem Bittchen können übrigens circa sieben Liter Wein gekeltert werden.

Nach der ersten Runde schenkt Sonja uns erstmal Wein ein. Es ist richtig warm und sonnig geworden. Wir schwärmen über die schönen Trauben und ich erfahre, dass die Weinlese durch den Klimawandel jedes Jahr ein wenig früher beginnt. Das stellt die Winzer*innen vor einige Herausforderungen, da sich z.B. das Leseteam im Vorhinein eine bestimmte Zeit frei nehmen muss, aber die Lese könnte dann spontan schon vorüber sein. Die Nässe des Morgennebels beschleunigt den Faulungsprozess, deshalb muss möglichst schnell gehandelt werden. Mir wird auch von vergangenen Lesejahren erzählt, von Dauerregen, erstem Frost oder der Dürre. Ich begreife immer mehr, wie anspruchsvoll der Weinanbau ist.

Könnte sich Eckhardt nochmal entscheiden, hätte er gleich nach der Schule Weinanbau gelernt. Die Arbeit erfüllt ihn nun schon seit 1994. Damals hatten er und Sonja das Weingut von Heinz-Friedel Zahn übernommen. Inzwischen ist die Anbaufläche um mehr als das doppelte auf 1,3 Hektar gewachsen. Wir machen uns wieder ans Lesen und Sonja erzählt mir, wer die Woche über noch anreisen wird. Einige kenne ich schließlich schon von der Weinwanderung im Juni. Gerade mit vielen Leuten sei die Stimmung herrlich, es werde viel erzählt und gelacht. Sonja mag aber auch die späteren Lesestunden, wenn es ruhiger und das Lesen wie zu einer Art Meditation wird. Gegen 15 Uhr beenden wir die Weinlese mit einem zünftigen Picknick bei gutem Gespräch.

Allerdings beginnt zurück in Steeg der Teil der Arbeit, der wohl vielen weintrinkenden Menschen weniger bekannt ist.

Zuerst kommen die Trauben in eine Mühle, wo sie gequetscht werden. Dieser Vorgang wird auch Maischen genannt. Danach werden sie in einer anderen Maschine entsaftet. Der Abfall wird dann später wieder zu den Weinbergen quasi als Kompost gebracht. Eckhardt hat zu Beginn bereits den Oechsle-Grad bestimmt. Dieser Wert, benannt nach dem Pforzheimer Goldschmied und Erfinden Ferdinand Oechsle, zeigt an, wie viel Gramm ein Liter Most schwerer ist als ein Liter Wasser. Das Mehrgewicht setzt sich aus Zucker und anderen Extraktstoffen zusammen. Je höher der Wert, um so hochwertiger der Wein, verstehe ich. Eigentlich wollte Eckhardt Most aus den Trauben gewinnen, aber bei 95 Oechsle wäre das quasi eine Schande. Also wird doch Wein daraus werden.

Zur Veranschaulichung habe ich auch ein kurzes Video für Euch zusammengeschnitten.

Am Abend sitzen wir noch im alten Gastraum beisammen und werden von Sonja mit einem Drei-Gänge-Menü überrascht. Ich fühle mich so lieb aufgenommen. Sonjas Mutter kommt aus der Fledermaus-Vinothek in Bacharach, wo die Weine verköstigt und verkauft werden, dazu. Während sich Frank nach einiger Zeit verabschiedet, geht es für Eckhardt und Jakob wieder an die Arbeit: Die Bittchen haben sie bereits gesäubert, nun sind auch die Maschinen und der Boden dran. Schließlich geht es morgen weiter mit der Weinlese.

Leider schaffe ich es nicht nochmal bei der Lese zu helfen. Am 03. Oktober beendet das Weinhaus Zur Fledermaus pünktlich eine Stunde vor dem mächtigen Regenguss die Weinlese für dieses Jahr. Ich nehme mir vor im nächsten Jahr für mehrere Tage dabei zu sein und danke Euch Fledermäusen für diese tolle Erfahrung.

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