Chance Leerstand? – Der erste Buga-Dialog

Die Bundesgartenschau 2029 soll nicht nur eine schöne sechsmonatige Gartenausstellung werden, sondern einen nachhaltigen Aufwind fürs Obere Mittelrheintal bedeuten. Von diesem bekamen die mehr als 50 Teilnehmenden am 13. Oktober in der Stadthalle von Kaub einen ersten Eindruck. Unter dem Thema „Chance Leerstand“ fand, organisiert von der Buga 2029 gGmbH -allen voran Dr. Sandra Linz- gemeinsam mit den Koblenzer Hochschulen der erste Buga Dialog statt. 

Gleich zu Beginn verdeutlichen Buga-Geschäftsführer Sven Stimac und Martin Buschfort, Bürgermeister von Kaub, die Dringlichkeit dem offensichtlichen Leerstand im Tal mit einer Attraktivierung der Region zu begegnen. Sven Stimac hofft gar am Ende des Tages konkrete Projekte und Gebäude benennen zu können, um an diesen gemeinsam weiter zu arbeiten. Moderatorin Claudia Jörg macht daraufhin nochmal deutlich, dass es darum geht „miteinander den eigenen Lebensraum zu gestalten“

Wissenschaftlicher Input

Bevor sich die Vertreter*innen aus Touristik, Wirtschaft, Baukultur, Architektur sowie Eigentümer, Investorinnen und Kreative in der ersten Workshop-Phase über den Ist-Zustand austauschen können, gibt es erstmal wissenschaftlichen Input: Professor Bernhard Köppen von der Universität Koblenz leitet allgemein zum Thema Leerstand aus Sicht der Regionalentwicklung ein. Dabei sei Leerstand bisher eher ein Ostthema und in den westlichen Bundesländern wenig diskutiert. 5 bis 8 Prozent Leerstand seien im Übrigen gut für eine Stadt oder Region. Ein großes Problem sei aber die sogenannte Leerstandsspirale, die von ersten Leerständen zu Wegzug und schließlich zu Einschränkungen in der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Infrastruktur sowie dem Gesundheitswesen führe. Köppen verdeutlicht, dass es zur Durchbrechung der Leerstandsspirale keine allgemeine Strategie gebe, sondern es immer lokale Analysen brauche. 

Professor Bernhard Köppen

Diese ergänzt sein Kollege Professor Peter Thomé von der Hochschule Koblenz. Er führt beispielsweise das Kloster Marienberg in Boppard an, welches seit 1981 leer steht. Zudem beschreibt er den Einfluss von demografischen Wandel, Fachkräftemangel und Veränderungen im Konsum- und Freizeitverhalten, in der Kommunikation und nicht zuletzt den Einfluss der voranschreitenden Digitalisierung, welche z.B. Home Office ermöglicht. Das Einfamilienhaus sei immer noch die bevorzugte Wohnart, meint er und ergänzt: „Rheinland-Pfalz ist Spitzenreiter im tatsächlichen Flächenverbrauch, welcher 2021 bei 8,6 Hektar pro Tag lag.“ So beschreibt Thomé das Nebeneinander von Neubau, Leerstand und Abriss. Besonders geht er auch auf Schul- und Kirchengebäude sowie Rathäuser und Krankenhäuser ein, die in der Zukunft im Oberen Mittelrheintal immer weiter ungenutzt bleiben werden. Wichtig erscheinen mir auch seine Ausführungen, dass Bauentscheidungen in Rheinland-Pfalz von den ehrenamtlichen und oftmals fachfremden Bürgermeistern und Gremien entschieden würden, was zu Fehlentscheidungen führen könne. Er beschreibt aber auch positive Beispiele wie die Stadt Freyung in Bayern, die durch die privaten Investitionen der Bürger*innen wiederbelebt wurde. „Seien Sie mutig. Es braucht Leuchtturmprojekte und eine Kette“, schließt er seinen Vortrag. 

Professor Peter Thomé

Beispiele aus der Praxis

Weitere inspirierende Beispiele gibt es auch nach der Mittagspause. Kunsthistoriker Hans-Lothar Huhn stellt uns sein Gingerbread Guesthouse in Bacharach vor, welches er historisch renovierte. Wie er überhaupt nach Bacharach kam, welche Projekte er außerdem auf die Beine stellt und was er sich von den Menschen des Mittelrheins wünscht, hat er mir im Anschluss an die Veranstaltung erzählt.

Hans-Lother Huhn mit mir im Gespräch

Neben dem Beispiel aus der Region sind auch zwei Gäste von außerhalb eingeladen: Diplom Ingenieur Markus Schäfer spricht über das innovative Beherbergungsprojekt „Alberga Diffuso” aus Mainbernheim (Franken) und Robert Anton stellt uns das Thüringer Netzwerk zur Belebung von Leerstand „LeerGut-Agenten“ vor. Da der ländliche Raum in Thüringen einige Überschneidungen zum Oberen Mittelrheintal aufweist, ließ ich mir in der Mittagspause den Verein der LeerGut-Agenten von Robert Anton nochmal genauer erklären. 

Robert Anton über die LeerGut-Agenten
Robert Anton im Gespräch mit Teilnehmenden

Weiter gings im straffen Programm nach der Mittagspause mit der zweiten Workshopphase. Bereits am Vormittag konnten wir uns zu einer der vier Gruppen (Baukultur, Tourismus, Eigentum, Kreative) gesellen. Ich diskutierte bei den Kreativschaffenden mit. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde geführt von Mareike Knevels vom Buga-Team tauschten wir uns über eigene Erfahrungen zum Thema Leerstand aus. Thorsten Heyer (Event- und Interiordesigner), der seit gut einem Jahr mit Mann und Hund im Katzenturm in Oberwesel lebt, beschreibt seine Schwierigkeiten trotz viel Leerstand ein Ladenlokal zu mieten, da zum Beispiel die Vorurteile über bedürftige Kreativschaffende aber auch die Grünpflanzen der Eigentümer im Weg stünden. Falko Hönisch, Stadtbürgermeister von Sankt Goar sowie Opern- und Konzertsänger, berichtet von der Internationalen Musikakademie, die er gemeinsam mit Dr. Emilio Pons (deutsch-mexikanischer Tenor, Pianist und Rechtsanwalt) 2014 im ehemaligen Gesundheitsamt in Sankt Goar gründete. “Am Rhein gab es immer einen vitalen Austausch”, macht er deutlich und auch aktuell würden hier, “wo andere Urlaub machen”, einige Kreative leben.

Am Morgen: Fähre Niederheimbach/Lorch auf dem Weg nach Kaub

Andere meinen, dass es im Tal zu wenig junge Kreative gibt und zudem die Vernetzung ein Problem sei. Beispielsweise fehlt eine Plattform, auf der Kulturveranstaltungen für das ganze Obere Mittelrheintal einzusehen sind.

Mut zum Experimentieren

Die zweite Austauschphase wird von den Gruppen genutzt, um für ihren Bereich nach Wegen aus der Leerstandsspirale zu suchen. Für Kreativschaffende könnte das Tal z.B. durch schnelleres Internet, Art Residencies, Projektförderung, verlässlichen Bahnverkehr, zentrale Ansprechpartner*innen, der Nutzung von leerstehenden Gebäuden für Konzerte oder Lesungen und Pop Up Stores attraktiver als Lebens- und Arbeitsort werden. Gezielte Öffentlichkeitsarbeit, Kommunikation über bereits existierende Projekte sowie interdisziplinäre Vernetzung von Kommunen werden auch bei der großen Abschlussrunde von den anderen Gruppen hervorgehoben. Konkrete Vorschläge reichen von der Umnutzung leerstehender Ladenlokale zu Ferienwohnungen bis hin zu rheinübergreifenden Stadtplänen, Enteignung von Eigentümern bei Härtefällen, der Abkehr vom Leuchtturmdenken und einer gemeinsamen Mittelrheinidentität.

Eindringlich wurde aber auch darauf verwiesen, dass solche Diskussionen und Austauschrunden nur etwas bringen, wenn die konkreten Konzeptideen von den politischen Entscheidungsträger*innen auch wahrgenommen und umgesetzt werden. Sonst führt die Frustration dazu, dass sich immer weniger Menschen für das Tal engagieren. Zudem wünschten sich auch einige der Aktiven mehr Mut und Unterstützung für Experimente in der Bevölkerung.

Im Schlusswort fasst Buga-Geschäftsführer Sven Stimac zusammen, dass ein gelungenes Leerstandsmanagement nur gemeinschaftlich von Ortsgemeinschaften, Politik, Tourismus, Wirtschaft und Wissenschaft umgesetzt werden könne. Dieser erste Buga-Dialog habe genau dafür den Grundstein gelegt. Die Teilnehmenden bleiben vernetzt und die Reihe der Buga-Dialoge werde im kommenden Jahr zu den Themen “Wasser” und “Biodiversität” fortgesetzt. Stimac kommt aber auch nochmal auf die Gastgeberstadt Kaub zu sprechen, für deren Leerstände es konkretes Interesse von Investoren gebe.

Mit vielen Gedanken und Eindrücken verlasse ich den Buga-Dialog “Chance Leerstand”. Ich bin gespannt, wie sich die Umsetzung der Ideen, die Balance zwischen Tourismus und einheimischen Bedürfnissen in Zukunft gestalten wird. Wann wird sich das Leuchtturmdenken auf noch mehr Menschen am Mittelrhein übertragen und die Leerstandsspirale durchbrochen?

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