Nachts auf der Burg: Wenn das grüne Tor sich schließt…

BUGA-Bloggerin Esther Jansen nachts auf Burg Sooneck
Burg Sooneck bei Nacht

Wenn das grüne Tor der Burg Sooneck sich schließt, heißt es: Feierabend. Für die Besucher*innen und für das kleine Team, das hier Tag für Tag die Vorräte auffüllt, sämtliche Türen auf- und wieder zusperrt, neue Gäste empfängt und den Kindern die Schatzsuche erklärt. Vor wenigen Tagen hat die Burg Sooneck ihre Türen für dieses Jahr zum letzten Mal hinter den letzten Gästen geschlossen – jetzt darf die alte Dame ihren wohlverdienten Winterschlaf halten. Was hatte sie nicht für einen Sommer!

Abschied vom Burgsommer

Tropisch heiße Tage, an denen die Eidechsen am liebsten Tango getanzt hätten, so wohl fühlten sie sich auf den warmen Steinen. Sintflutartige Regenfälle, die manchem Weingut die Lese und der Burg Sooneck die lehmige Auffahrt versauten, sodass hier ordentlich ausgebessert werden musste.

Hunderte Kinderfüße, die ausgelassen sämtliche Wege entlanggerannt und sämtliche Türme hinaufgeklettert sind.
Mindestens genauso viele Erwachsenen-Füße, oft in dicken Wanderstiefeln, die etwas bedächtiger im Bauch der Burg umhergeschlendert sind. Nasen, die an den Rosen geschnuppert und Hände, die über die metallenen Handläufe entlang der vielen Beete gestrichen haben. Dazwischen je nach Wetter mal Falter und Bienen, mal Schnecken. Und vom Rhein die dröhnenden Bässe der Partyschiffe.

Kurzum: Burg Sooneck hatte ereignisreiche Sommertage.
Und jetzt ist es still hier.

Wir Menschen empfinden einen Drang, besondere Orte bei Nacht zu besichtigen. Mal nachts im Museum zu sein, wünschen sich so viele, dass manche Häuser inzwischen entsprechende Übernachtungsangebote machen. Ähnliche Formate gibt es in Theatern, Bibliotheken – und in meinem besonderen Fall auf einer Burg.

Zugegeben, es hat mehrere Anläufe gebraucht, mich nachts außerhalb des sicheren Burgzimmers herumzutreiben. Die Dunkelheit ist nun mal gleichermaßen faszinierend wie beunruhigend. Der Herbst hat mir geholfen – denn mit den kürzer werdenden Tagen stieg auch die Zahl der Abende, an denen ich im Zappendusteren wieder nach Hause gekommen bin. (Danke nochmal, Klaus Collerius, für den Hinweis mit der Taschenlampe!)

Nun also will ich der Dunkelheit einmal ganz bewusst begegnen.
Ein Herbstabend.

Die blaue Stunde taucht Burg Sooneck in ein unwirkliches Licht.

Ein letzter Hauch Gold

Ich stehe im kleinen Pavillon an der Seite der Burg, der vor wenigen Tagen noch feuerrote Blätter getragen hat. Heute ist er bereits winterkahl. Von hier aus kann man wunderbar auf den Rhein und die Weinberge hinunter gucken, die in der Abendsonne unwirklich golden aussehen.

Wenn die Sonne langsam hinter dem Soonwald verschwindet, hört auch der Steinbruch auf zu dröhnen. Der Staub, der den ganzen Tag aus dem großen Schlund empor quillt und auf das Fensterbrett meines Burgzimmers weht, legt sich. Nun rattern nur noch die Züge, und die Schiffe rauschen.

Noch immer ist viel los auf dem Wasser, die Frachter kriechen wie riesige Schnecken den Flusslauf hinauf und hinab, nur die Party- und Spinning-Boote, die an den Sommerabenden das ganze Tal beschallt haben, fehlen. Ist inzwischen wohl zu kühl für Partykleidchen und Radlerhosen auf dem Wasser.

Ich schlendere im letzten Licht zu dem metallenen Modell der Sooneck, das auf dem Innenhof direkt vor dem romantischen kleinen Balkonfenster mit den drei Spitzbögen steht und gucke es mir genauer an. Wie viele Stufen die Sooneck hat… Unwillkürlich beginne ich zu zählen, ob die im Modell mit denen der echten Burg übereinstimmen. Nicht ganz.

Ich gehe zu den „echten“ Stufen hinüber und steige hinauf, bis zu dem kleinen Umlauf, hoch oben an der Burgmauer. Ein Falke sitzt auf dem östlichen Turm und starrt vor sich hin. Ich bleibe stehen, um ihn zu beobachten, und frage mich, was er sucht. Hoffentlich keinen der kleinen Gartenschläfer, die hier wohnen und die man manchmal leise in den Beeten piepsen hört. Der Raubvogel hebt ab Richtung Soonwald. Kein Gartenschläfer-Snack heute.

Ich schaue noch einmal ausgiebig auf den Rhein hinunter. Es ist verrückt, wie wenig diese Aussicht ihre Faszination verliert. Noch immer finde ich dieses Panorama so wunderschön wie am ersten Tag, noch immer will ich am liebsten einen Zeichenblock zücken und ihn malen. Stattdessen bannt das Handy den Moment für mich – wenn auch das nie ganz so aussieht wie in der Realität.

Ich steige die Stufen wieder hinunter und lege meine Finger auf den schmiedeeisernen Handlauf. Das korrodierte Metall gleitet kühl darunter hindurch. Die Lasur ist an einigen Stellen ganz glatt, von all den Händen, die vor meiner hier entlang gestreift sind.

Die blaue Stunde

Ich laufe den Serpentinenweg hinunter, vorbei an den liebevoll gepflegten Blumenbeeten, in denen noch immer einzelne Blüten der Kälte trotzen, und rieche an einer der letzten apricotfarbenen Rosen, die noch immer so berauschend duftet, dass ich meine Nase am liebsten darin stecken lassen würde. 

Selbst jetzt im Herbst blühen noch letzte duftende Rosen.

Als hätte jemand einen Schalter umgelegt, bricht die „blaue Stunde“ an, die alles aussehen lässt, als hätte jemand einen Cyanfilter darübergelegt. Ein Käuzchen schreit. Das abendliche Äquivalent des Hahns. Ab ins Bett, Kinder, es wird Nacht.

Die Burg aus braunem Gestein, die tagsüber so eine warme Ausstrahlung hat, wirkt plötzlich viel melancholischer und geheimnisvoller. Die kleine Knabengestalt mit dem weinenden Gesicht, die über einer kleinen Wasserstelle in der Mauer steht, sieht jetzt noch mitleiderregender aus als sonst. Ich muss an den Raubritter Siebold denken, der hier mal gelebt haben und von einem blinden Bogenschützen im Burgsaal erschossen worden sein soll.

Wenn jetzt ein Geist auftauchte, würde das gut in die Stimmung passen. Aber es kommt keiner. Stattdessen ruft das Käuzchen weiter. Die Züge rattern. Die Schiffe rauschen.

Unten auf dem kleinen Sandplatz an der Südseite der Burg, der so ziemlich deren tiefst gelegenen Punkt darstellen dürfte, habe ich Sommer abends gerne unter dem Flieder gesessen. Jetzt ist es dafür zu kalt. Ich schaue über die Ballustrade ins immer dunkler werdende Tal und frage mich, wie der Berg „nebenan“ wohl ausgesehen hat, als er noch nicht systematisch abgetragen wurde. Und wie lange man damit wohl noch weitermacht. Erst gestern hat wieder eine Sprengung die ganze Burg erbeben lassen.

Schwarzer Samt

Die Nacht kommt noch plötzlicher als die blaue Stunde. Und mit ihr wird es merklich stiller. Weniger Schiffsrauschen und Zugrattern, die Nachtlichter des Steinbruchs, vereinzelte Autoscheinwerfer und ein paar Laternen leuchten rechts und links des dunklen Stroms.

Burg Sooneck bei Nacht. So viel, wie die Kamera hier rausholt, sieht das menschliche Auge nicht…

Ein paar Stunden später stehe ich wieder im Eingangsbereich der Sooneck und schalte das Licht der Taschenlampe aus. Pechschwarze Dunkelheit. Nur langsam gewöhnen sich die Augen daran und lassen schleichend mehr Details erkennen. Aus Schwarz wird Graublau, wird ein dunkelgrauer Klumpen, wird wieder die Hauptburg. Ich lege den Kopf in den Nacken. Vom Himmel blinken Sterne wie winzige Strasssteine auf dunkelblauen Samt genäht, auf mich hinunter.

Der nächtliche Himmel über Burg Sooneck sieht aus wie blauer Samt.

Als ich weitergehe, klingen meine Schritte auf dem Kies laut plötzlich und verräterisch – und ich fühle mich auf einmal selbst fast wie ein Gespenst, das ganz allein durch die Nacht geistert. Wobei die Geisterstunde noch nicht begonnen hat. Und ich leider weder schweben noch mysteriös leuchten kann. Dann bräuchte ich auch die Taschenlampe nicht…

So schnell wird man selbst zum Geist…

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