Bio-Weinbau, Ökowinzer, Naturwein – in der Weinwelt schwirren so einige Begriffe umher, die nur zu gern in einen Topf geworfen werden. Was bei ihrer semantischen Nähe nicht verwundert. Aber: Was genau ist denn Bio- und was Naturwein? Welche Vorteile hat naturnaher Weinbau? Und wer baut am Mittelrhein natürliche Weine an?
Darum geht’s in diesem Beitrag:
- Biowein vs. Naturwein: Was ist das?
- Zu Besuch bei den Bio-Pionieren des Mittelrheins: Weingut Dr. Kauer
- Zu Besuch bei Kai und Kristina Heilemann, die neben Bio-Anbau auf einen natürlichen Gärungsprozess setzen
Biowein vs. Naturwein: Was ist was?
Gleich vorweg: Bio-/Öko- und Naturwein sind nicht dasselbe.
Ersterer ist streng reglementiert: Wer seinen Wein unter dem Biosiegel verkaufen möchte, muss dafür mindestens eine Zertifizierung nach der EU-Bioverordnung erlangen. Ähnlich wie bei anderen Bioprodukten geht hier aber noch mehr. Strengere Bio-Siegel verleihen hierzulande etwa Verbände wie ECOVIN oder Bioland.
Ist ein Wein „bio“, meint das die ökologische Form des (Be-)Wirtschaftens, aus der er entstanden ist. Sprechen wir von „Naturwein“ benennen wir damit eher die Machart des Produktes.
Maßgeblich für die Klassifizierung als Biowein ist unter anderem der Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und Herbiziden beim Anbau. Biowinzer*innen dürfen nur organische Dünger verwenden, die Reben sollen ihre Nährstoffe laut EU-Verordnung „in erster Linie über das Ökosystem des Bodens beziehen“. Wer nach ECOVIN-Standard arbeitet, bemüht sich zudem um „artenreiche Begrünung und aktiven Artenschutz wild lebender Tier- und Pflanzenarten“. Für Biowein gelten niedrige Maximalwerte, was den Einsatz von Sulfiten (Schwefelsalzen) im Wein angeht. Grundsätzlich sind die „önologischen Behandlungsmittel“ – sprich Zusatzstoffe – streng reglementiert.
Kurz gesagt: Es muss in allen Bereichen der Produktionskette deutlich werden, dass der*die jeweilige Winzer*in im Rahmen des eigenen Wirtschaftens nachhaltig und ressourcenschonend arbeitet.
Für Naturweine gelten noch gar keine Vorgaben. Da der Begriff nicht geschützt bzw. an einheitliche Standards gebunden ist, darf er auch nicht von Winzer*innen als öffentlichkeitswirksame Information genutzt werden, also beispielsweise auf Websites oder Flaschenetiketten. Es kristallisieren sich jedoch weitgehende Überschneidungen der Hersteller heraus, die in Deutschland u.a. im Verein Naturknall organisiert sind, um eine gesetzliche Anerkennung zu erwirken: Üblich ist, dass Winzer, die Naturweine herstellen, auch biodynamisch arbeiten und so wenig wie möglich in den natürlichen Vergärungsprozess eingreifen. Hefen oder Sulfite werden nicht oder in äußerst geringen Dosen zugesetzt. Im Grunde gehen sie damit noch einen Schritt weiter als bio-zertifizierte Betriebe.
Während reine Bioweine optisch und geschmacklich deshalb keine Unterschiede zu konventionellen Produkten erkennen lassen, heben sich Naturweine optisch und geschmacklich ab: Sie sind etwas wilder, herber – und meist ungefiltert.
Einblick in die Bio-Weinwelt: Zu Besuch bei Weingut Dr. Kauer & Weinbau Heilemann
Die Pioniere: Weingut Dr. Kauer
Wer sich mit Biowein vom Mittelrhein befassen will, landet unweigerlich bei Dr. Randolf Kauer und seiner Tochter Anne.
„Für meine Eltern war es immer eine Selbstverständlichkeit, biologisch zu wirtschaften, so wie für mich heute auch. Der Schutz der Natur und der Kreislaufgedanke sind essenziell für das Wirtschaften in der Natur. Das ist heute wichtiger denn je“, erzählt Anne Kauer und schlägt die Kofferraumklappe des Familienwagens zu.
Gemeinsam mit einer Handvoll Helfer*innen sind sie und ihr Vater Randolf, der als Dozent an der Hochschule Geisenheim die deutschlandweit erste Professur für Bioweinbau innehatte, gerade mitten in der Lese. Heute ist die junge Mutter „Suppenbeauftragte“. An anderen Tagen steht sie komplett mit im Weinberg. Immer wie es gerade passt. Im Kofferraum schwappt es verheißungsvoll unter dem Deckel eines duftenden Kessels, während Anne den Wagen hinauf in einen Wingert bei Urbar lenkt. Es ist kurz vor zwölf.
Eine Haltungsfrage
„Für mich stand außer Frage, mit der Entscheidung zum Ökoweinbau positiven Einfluss auf die Natur zu nehmen. Uns geht es nicht nur um die Reben und den Wein. Wer biologisch Wein anbaut, denkt grundsätzlich über die Gesundheit der Natur nach“, sagt Anne. „Auch, wenn geschmacklich am Ende kein Unterschied zum konventionell erzeugten Wein besteht. Wie man seinen Wein anbaut, ist eine Haltungsfrage.“
Bio oder nicht-bio sei im Weinbau eh so eine Sache und gerade für den Verbraucher oft schwer zu unterscheiden. Natürlich sei auch der konventionelle Weinbau sehr naturnah unterwegs, erklärt Anne. Einige Betriebe betonen auch gerne, dass sie „eigentlich“ biologisch wirtschaften. Allerdings hält man sich durch die Nicht-zertifizierung immer die Hintertür offen. Für Anne ist daher wichtig: wenn es Bio sein soll, dann bitte aus voller Überzeugung – kontrolliert und zertifiziert.
Die Kauers sind Überzeugungstäter der ersten Stunde. Ihr Betrieb läuft seit seiner Gründung in den 80er Jahren – damals übrigens auch noch ohne gesetzliche Leitplanken – biologisch. Heute arbeiten Vater und Tochter unter dem ECOVIN-Siegel, das heißt, sie halten noch mehr ökologische Normen ein als laut der gesetzlichen Vorgaben nötig wäre. „Für den Verbraucher gibt es eigentlich nur Vorteile, vor allem wenn man es langzeitig betrachtet“, erklärt Anne und meint damit nicht nur das gute Gewissen. „Durch den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit und das Schonen der Ressourcen wird auch für die Zukunft der Weinbau sichergestellt – oder was auch immer jemand in einigen Jahrzehnten auf diesen Flächen anbauen möchte.“
Bio ist, wenn der Wingert blüht
In den Wingerten des Familienbetriebs gedeihen deshalb nicht nur die Reben, sondern auch Kräuter vom wilden Thymian bis zur Ringelblume. Die Lese erfolgt komplett von Hand. Einziges motorisiertes Hilfsmittel ist ein kleiner Trecker mit Seilzug, um die vollen „Bütten“ auf einem Karren den Steilhang hochzuziehen. Die bis zu 18 Kilo schweren Kisten die Steigung hinaufzutragen, ist zwar möglich, belastet aber ganz schön den Rücken. Und auch ohne Schleppen geht die Arbeit in der Steillage ganz schön in die Knochen. Die Suppe kommt allen hier gerade recht. Die Scheren werden niedergelegt, der klebrige Traubensaft von den Händen gewaschen.
Der härteste Gegner des Idealismus ist der Klimawandel. Besonders Extremwetter-Phänomene machen Anne Kauer Sorgen. „Denn da haben wir quasi keinen Einfluss drauf. Seien es extreme Trockenphasen, Starkregen, Hagelschlag, Spätfrost und so weiter. Die Liste ist lang… Möglichkeiten, hierauf zu reagieren sind sehr begrenzt und meist sehr teuer“, erzählt Anne Kauer. Allein 2024 gab es massive Ernteverluste aufgrund eines Spätfrosts im April und des viel zu nassen Sommers von Juli bis September. Kauers haben durch Kälte und Regen rund 40 Prozent der diesjährigen Ernte verloren.
Für alle Fälle PIWI
Als Schutz gegen Pilzkrankheiten dienen lediglich Schwefel, Backpulver und Kupfer. Und die können nicht vollumfänglich vor pilzbedingtem Ernteverlust schützen. Pilzwiderstandsfähige Rebsorten finden jetzt schon ihren Platz, als resistente Alternativen zu den eher „immunschwachen“ Klassiker-Reben. Ihren PIWIs hat Anne Kauer eine eigene Cuvée gewidmet: Sie heißt „Von Herzen“ und stimmt liebevoll auf den Umstieg auf neue Sorten ein, der in ein paar Jahren immer weitere Kreise ziehen wird.
„Davon ist auch ’ne halbe Flasche in der Suppe drin“, lacht sie, als alle genüsslich löffeln. „Will jemand noch einen Nachschlag?“ Dass eine gute Stimmung und ein respektvolles Miteinander herrschen, sei ihr sehr wichtig, erzählt Anne. „Wir versuchen grundsätzlich ganzheitlich zu arbeiten. Wir wollen weder die Natur ausbeuten noch unsere Mitarbeiter oder andere Menschen in der Vertriebskette. Zum Beispiel versenden wir unsere Pakete mit maximal zwölf Flaschen nur über die Deutsche Post, weil die ohne Subunternehmer arbeiten und ihre Leute vernünftig bezahlen. Außerdem ist das Gewicht von mehr als 12 Flaschen einfach zu schwer für den Postboten, die Kunden und natürlich auch für uns. In mancherlei Hinsicht verzichten wir im Grunde aus tiefer gehenden Prinzipien auf einen besseren Umsatz“, erklärt sie.
Menschlichkeit im Weinberg
Auch die Winzer unter sich sind in einem guten Austausch, viele pflegen ein mindestens respektvolles, wenn nicht freundschaftliches Verhältnis. Randolf Kauer steht beispielsweise der „Weinzunft Bacchus – Zechgesellschaft Bacharach Steeg von 1328″ vor, einer Winzergilde, die dem Austausch und der Lokalpflege gewidmet ist. „Wir müssen uns hier als eine Einheit sehen. Wir arbeiten immer auch fürs Tal. Mir geht es nicht darum, mich zu profilieren als ‚Weingut Kauer mit den tollen Weinen‘. Es ist mir wichtig, mich als Teil dieser Region zu begreifen und dafür zu stehen.“
Die Idealisten: Naturwein vom Weingut Heilemann
Ca. elf Kilometer entfernt auf der anderen Rheinseite stecken Kai und Kristina Heilemann auch mitten in der Lese. Auch hier grünt es in den Rebzeilen – zum Teil ist der Schiefer kaum noch zu sehen unter Gräsern und Kräutern.
With a little help from my friends
Anders als die Kauers, die als etablierter Betrieb von Honorarkräften unterstützt werden, sind die beiden Neueinsteiger, die sich vor einigen Jahren beim Weinbaustudium in Geisenheim kennengelernt haben, angewiesen auf motivierte Ehrenamtler*innen aus Familie und Freundeskreis. Und da gibt es mal solche, mal solche Tage. An diesem nieseligen Freitag hat sich nur eine kleine Truppe versammelt: Neben den beiden Jungwinzern sind Kais Papa Klaus und Silke Hillesheim, die Frau des Guts-Vorbesitzers, zwischen den Rebstöcken unterwegs.
Die neue Generation im alten Weingut Hillesheim
Schon Wolfgang Hillesheim hatte sein Weingut auf Bio umgestellt. Einen bereits etablierten Öko-Betrieb zu übernehmen, war für Kristina und Kai ein Sechser im Lotto. Auf insgesamt 3 Hektar in den Lagen Kauber Rauscheley, Blüchertal, Gutenfels und den Seligmacher in Lorchhausen bauen sie jetzt seit einem Jahr Riesling, Spätburgunder, Cabernet Dorsa, Grauburgunder, Petite Arvine, Savagnin sowie die PIWI-Sorten Calardis Blanc und Helios an. Auch Heilemanns arbeiten nach den ECOVIN-Grundsätzen.
Mehr als ein Wingert: Der Vitiforst
Doch das junge Paar geht noch ein paar Schritte weiter. Ihren Wingert im Seligmacher haben Kai und Kristina als Vitiforst angelegt, das heißt: Zwischen die Rebstöcke wurden hier gezielt auch Kräuter, Blüh- und Nutzpflanzen gesetzt, sodass ein vielseitiges Ökosystem entsteht. Salbeibüschel, Himbeerranken, Quitten- und Haselnussbäume, Oliven und Feigenbüsche bilden eine abwechslungsreiche Nachbarschaft für die Reben.
„Dieses Jahr wollen wir hier in Kaub den nächsten Vitiforst pflanzen“, erzählt Kai, dem es wichtig ist, die Region im Hinblick auf den Klimawandel und das Lebensgefühl weiterzudenken. „Als Winzer können wir die Landschaft hier noch viel vielfältiger gestalten. Ein Weinberg muss nicht nur Produktionsstätte für Trauben sein. Er kann Lebensraum für viele Arten sein und Klimaregulierer, durch die Bäume, die hier stehen und Schatten spenden.“
Tanzende Weine
Doch nicht nur im Wingert geht es maximal natürlich zu, sondern auch in der Produktion: Die Trauben werden von Hand entrappt, gepresst, abgefüllt und durchlaufen danach einen natürlichen. Gärungsprozess. Lediglich der Umgang mit den Trauben vor dem Gärprozess nimmt Einfluss auf das Produkt, das am Ende herauskommt.
Seine naturbelassenen Weine benennt das Paar nach Balettschritten – hergeleitet von Kristinas Liebe zum Tanz und ihrer Ausbildungszeit in Frankreich. Je komplizierter und extravaganter die namensgebende Tanzfigur, desto komplexer der jeweilige Wein. In ihrem ersten Jahr haben die beiden schon eine interessante Auswahl produziert: zwei Rotweine, zwei Weißweine und den Petnat „Pas de Chat“ als Hommage an den ersten gemeinsamen Kater Pucki.
Was die Natur gibt
In allem, was sie tun, strahlen Kai und Kristina eine gewisse Leichtigkeit aus – dabei zahlt das Paar durchaus einen Preis für seinen Idealismus: Die Natur gibt, die Natur nimmt, und Naturweinproduktion ist gewisser Hinsicht eine Überraschungstüte. Die Ernte fällt dieses Jahr stellenweise sehr schlecht aus. Der Regen hat viele Trauben faulen lassen. Notgedrungen werden Kai und Kristina also einen Süßwein produzieren – das ist zwar nicht ihr Steckenpferd, aber die Trauben einfach zu entsorgen, kommt für sie auch nicht infrage.
Es gilt: Qualität sichern und Ernteausfall vermeiden.
Aktuell sind sie und Kai beide nur im Nebenerwerb als Winzer tätig. Kai ist derzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Geisenheim beschäftigt, Kristina wiederum arbeitet in der Weinbauforschung beim Weinbauinstitut (Institut Viti‑Vinicole) in Luxemburg. Für das nächste Jahr bewerben sich die beiden auf die Hofnachfolgeprämie des Landes Rheinland-Pfalz. Wenn das klappt, rückt der Vollerwerb im Weingut in greifbarere Nähe. Direkt und ohne Auffangnetz „all in“ zu gehen, ist bei der anspruchsvollen Arbeitsweise nicht drin. Zudem ist Naturweinproduktion ist nichts für den großen Ertrag.
Die Weine der Zukunft?
Dennoch sind die beiden zuversichtlich, dass ihr Betrieb gut anläuft. Sie sehen sich ohnehin nicht bei den Big Playern. „Ich glaube nicht, dass wir hier am Mittelrhein mit Masse auf Dauer Erfolg haben werden. Für große Massen fehlen uns hier ohnehin die Kapazitäten. Wir sind besser aufgehoben, wenn wir uns spezialisieren, auf Qualität und Individualität setzen“, sagt Kai. „Für uns sind Naturweine die Zukunft. In dieser Stilistik steckt noch viel drin. Und das Bewusstsein der Leute wächst. Da kommt eine junge Generation, der es wichtig ist, dass sie ein unverfälschtes Produkt bekommen.“
Tatsächlich wurden Bio- und Naturweine in den letzten Jahren immer populärer. Die biologisch bewirtschaftete Rebfläche in Deutschland hat sich innerhalb der letzten 20 Jahre verfünffacht. Und über den „neuen Trend“ Naturwein schreiben bekannte deutsche Medien schon seit fast zehn Jahren – er scheint sich also zu halten…
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