Schieferbergbau: Ein übersehenes Kulturerbe

Kauber Schieferbergbau

Das obere Mittelrheintal ist maßgeblich durch ein Gestein geprägt: Schiefer. Er bestimmt den Charakter der Landschaft, gibt seine Mineralität an die hier wachsenden Reben ab und speiste einst einen wichtigen Wirtschaftszweig für die Region. Anders als im Ruhrgebiet, wo der Kohlebergbau als historisches Erbe und identitätsstiftendes Element gepflegt wird, spielt der Schieferbergbau neben Rhein, Wein, Burgen, „den Preußen“ und den Befreiungskriegen nur eine mikroskopische Rolle im touristischen Angebot des Mittelrheintals. Besonders deutlich wird das in der Stadt Kaub, die einst ein wichtiger Produktionsstandort für Dachschiefer und Schiefermehl war.

Die Gedenkstätte Schieferbergbau in Kaub.

In dem kleinen 800-Seelen-Ort spielt Generalfeldmarschall Blücher die Hauptrolle, der bei Kaub mit seinem Heer den Rhein überquerte, um Napoleon die Stirn zu bieten. Wer nach Kaub kommt, findet schnell in das ihm gewidmete, gut ausgeschilderte Museum auf der Metzgergasse.

Schräg gegenüber findet man in einem kleinen alten Häuschen das 2022 eröffnete Museum für Schieferbergbau des Kauber Schiefer e.V. Es ist – wenn man mal von der etwas verwahrlosten Gedenkstätte an der Rheinpromenade und dem verfallenen Wilhelm-Erbstollen absieht – und der einzige Ort hier, der öffentliches Zeugnis über die Existenz des Schieferbergbaus ablegt, der immerhin mehrere Jahrhunderte lang das Ortsgeschehen bestimmte.

Das Kauber Schieferbergbaumuseum liegt auf der Metzgergasse 13, schräg gegenüber des Blüchermuseums.

Der Sohn des Obersteigers

Immer samstags hat der Schauraum geöffnet, der von Wilfried Radloff ins Leben gerufen wurde. Radloff ist als Sohn des Obersteigers in einer Werkswohnung des Wilhelm-Erbstollen aufgewachsen und hat die Gruben noch als riesenhafte Abenteuertunnel in Erinnerung. An diesem Dienstag öffnet er die Tür ausnahmsweise für eine Sonderführung, denn Radloff liegt viel an diesem Erbe seiner Heimatstadt. Obwohl er schon lange nicht mehr in Kaub lebt.

Seine Mutter habe damals entschieden, dass die Familie herziehen und der Vater im Schieferbergbau arbeiten solle, erzählt der pensionierte Schulleiter nach dem Eintreten in den kühlen Ausstellungsraum. Kalibergbau in Philippsthal war zu dicht an der Zonengrenze, Kohlbergbau im Ruhrgebiet zu dreckig. „Und der Rhein“, sagt Radloff und schmunzelt, „der war romantisch.“

Im Museum des Kauber Schiefer e.V. gibt es diverse Artefakte aus der Zeit des Schieferbergbaus zu sehen – Kleidung, Lampen, Arbeitsgeräte, aber auch viele Bilder und Schieferprodukte.

Der Kauber Wilhelm-Erbstollen war seinerzeit die größte Dachschiefergrube am Mittelrhein. Eine moderne Wohnung hätten sie gehabt, sogar mit einem Badezimmer – allerdings ohne Heizung. „Im Winter, wenn man morgens Wasser haben wollte und es gefroren hatte, kamen die Arbeiter aus der Schmiede hoch mit dem Lötbrenner und haben die Leitungen freigemacht.“

Wir sitzen zwischen den Vitrinen des kleinen Ausstellungsraums, die erstaunlich umfangreich bestückt sind. Viele der Stücke hier sind Hinterlassenschaften des Vaters. Einiges hat Wilfried Radloff nach und nach dazugekauft.

Die Kumpels im Dunkeln

Los gingen die Tage in der Grube morgens um sechs und endeten um sechs Uhr abends. Zwölf Stunden, zwar mit langer Pause, die aber aufgrund der langen Laufwege oft in den Stollen verbracht wurde: Das Tunnelnetz im Erbstollen umfasst 25 Kilometer auf vier Etagen. „Im Winter haben die im Prinzip das Tageslicht gar nicht gesehen“, sagt Wilfried Radloff. Sogar Feste habe man im Stollen gefeiert. Weihnachten, inklusive geschmücktem Tannenbaum. Und das Rapsöl der Lampen wurde im Wechsel gespart, um es den Frauen zum Kochen mit nach Hause bringen zu können. „Das waren feste Teams, die kannten sich gut. Der Begriff Kumpel ist nicht umsonst entstanden.“

Weihnachten im Wilhelm-Erbstollen
Weihnachten im Wilhelm-Erbstollen, Credit: Wilfried Radloff

Feuchtfröhliche Feierabende

Arbeiter, die aus dem Kauber Umland kamen, verbrachten wegen des langen Heimwegs sogar die gesamte Arbeitswoche im Ort. Als die Arbeitstage auf acht Stunden verkürzt wurden, war das einerseits große Entlastung – sollte man meinen. Viele der Bergarbeiter nutzten die gewonnene Zeit allerdings, um einen Zweitjob anzunehmen, zum Beispiel im Obst- oder Weinbau, erklärt Wilfried Radloff. Die Bezahlung im Bergbau sei nicht berauschend gewesen.

Was Nebenverdienste anging, waren die Kumpel auch im Rahmen der Bergarbeit durchaus findig. Manch einer stellte kunstvolle Zierplatten und -schilder aus überschüssigem Schiefer her, andere verkauften Fossilien oder Mineralien, die sie bei der Arbeit fanden, an Sammler.

Neben Zweitjobs gab es allerdings noch andere Anziehungspunkte für die Zeit nach Dienstschluss: Zum Leidwesen ihrer Ehefrauen zog es viele Arbeiter in die zahlreichen Kauber Weinwirtschaften. „Hier war schon was los. Kaub war in der ganzen Welt präsent. Mit Ziegeln und mit Wein. Um 1900 waren die Weine aus der Gegend hier stärker gehandelt als Bordeaux-Weine“, erzählt Radloff. „Ich erinnere mich noch, dass manche Ehefrauen persönlich die Lohntüten abgeholt haben, damit die Männer das Geld nicht versaufen.“

Für Extraschichten im Stollen gab es zur Sicherheit übrigens einen Laib Brot, statt einer Lohnerhöhung. Eine Bierflasche von 1941, die erst 2010 in einem Versteck im Stollen gefunden wurde, zeugt davon, dass es manch einer nicht schaffte, bis zum Feierabend trocken zu bleiben. Das sei jedoch die Ausnahme gewesen – immerhin mussten die Männer mit schwerem Gerät auf hohen Leitern hantieren.  

Ein Knochenjob mit Fingerspitzengefühl

Auf alten Fotos – insgesamt umfasst die Sammlung des Vereins rund 600 Stück – sieht man, wie Arbeiter in sechs Metern Höhe mit einem großen Presslufthammer die Stollendecke bearbeiten. Die Einzelteile dieser Maschinen kann man ebenfalls im Ausstellungsraum begutachten. Allein die Bohraufsätze aus massivem Metall sind über einen Meter lang und dicker als ein Daumen.

In die mühsam gebohrten Löcher steckte man das Schwarzpulver. „Der Letzte, der rausgeht, macht nicht das Licht aus, sondern zündet“, sagt Radloff und schmunzelt. Radloff deutet auf einen langen Stecken mit Zehn-Zentimeter-Markierungen und einer Metallspitze. Am nächsten Morgen sei es die Aufgabe des Steigers gewesen, mit dieser Steigerlatte nach übrig gebliebenen losen Gesteinsbrocken in der Decke zu stochern, um den Stollen für die Kumpel abzusichern. Stützbalken oder Ähnliches gab es nicht.

Allroundtalent Schiefer

Schiefer lässt sich in flachen, gleich dicken Scheiben abspalten und formen. Noch im Stollen wurden die abgesprengten Brocken in grobe Platten gespalten. Draußen wurden diese dann mit einer Nasssäge weiter verkleinert und beim Zurichten schließlich in ihre endgültige Ziegelform gebracht. „Für Lehrlinge gab es noch Schablonen. Die erfahrenen Zurichter konnten das im Schlaf, nach Gefühl. Ihre Hände, der Hammer, das Spalteisen – das war eine Symbiose.“

Zurichter bei der Arbeit, Kaub
Zurichter bei der Arbeit, Kaub, Credit: Wilfried Radloff

Von dem gesprengten Schiefer verarbeitete man insgesamt nur rund zehn Prozent zu Ziegeln. Der Rest wurde nach Beendigung der Arbeiten in einem Stollen abgetragen und auf riesigen Schieferhalden hinter Kaub entsorgt, die man heute noch besichtigen kann. Ab den 1920ern gab es außerdem ein Schiefermahlwerk, in dem Schiefermehl produziert wurde.

Die „Kauber Nationalhymne“

Das nutzte man zum Beispiel für Kosmetika und Farben, für Baustoffe wie Zement oder als Bindemittel in Schellackplatten. Wilfried Radloff deutet auf eine Platte in einer der Vitrinen. „Das ist die Kauber Nationalhymne“, sagt er und drückt einen versteckten Knopf. Ein Lied ertönt. „Es liegt ein Städtlein an dem Rhein, ist keines sonst ihm gleich; darinnen wohnt die Liebste mein, die Schönst‘ im ganzen Reich. Elslein, ach Elslein, du Rose im Laub, Dich lieb‘ ich ewig, mein Elslein von Caub!“ Ein Liebeslied, in Schiefermehl gebannt.

Das Ende des Schiefergbaus

Während die Arbeit in den Stollen körperlich anstrengend und schlecht für die Augen war, ergab sich in der Verarbeitung des Gesteins ein ganz anderes Problem: Der grobe Schieferstaub bescherte nicht wenigen Arbeitern eine Staublunge, Silikose genannt. Nicht nur deshalb ging die Ära des Schieferbergbaus in Kaub Anfang der 1970er Jahre zu Ende.

Der Rheingau entwickelte sich in der Nachkriegszeit auch als Industriestandort weiter. „Es gab die chemischen Werke und Maschinenbaufirmen. Das waren saubere Arbeitsplätze, besser bezahlt“, sagt Wilfried Radloff. „Gleichzeitig wurde vermehrt Schiefer aus Spanien importiert.“

Nach der Schließung 1972 wird das Kauber Schiefermahlwerk zunächst an eine Mineralwerkfirma aus dem Sauerland verkauft. Anfang der 80er wird die Firma plötzlich geschlossen und von zwei Investoren aus Wiesbaden erworben. Diese entkernen die Gebäude und verkaufen den Bestand. „Und was noch so an so Sachen da war, wurde geklaut“, sagt Radloff. „Seitdem verfällt das.“ Inzwischen haben sich Fledermäuse in den Tunneln eingenistet, die dort ungestört überwintern können. Immerhin hat er so einen neuen Zweck erhalten.

Die Erinnerung wahren

Wilfried Radloff lenkt seinen Wagen routiniert den Berg hinauf, biegt auf das Gelände eines Tennisvereins und parkt mitten auf einer Wiese hinterm Ascheplatz. An den Bäumen erkenne ich Wanderweg-Zeichen. Zum Abschied möchte er mir noch die Halden zeigen.

„Jeden Tag wandern hier Leute lang, und die haben keine Ahnung, was das hier ist“, sagt er, während der Rasen unter unseren Füßen in anthrazitfarbenen Kies übergeht. Er wünsche sich mehr Sichtbarkeit für das Thema. Wenigstens ein Informationsschild hier und da. Der Weg endet an einem Aussichtspunkt mit Bank, der den Blick auf einen gigantischen Geröllhang freigibt. Karrenweise Schieferreste, die zum Berg geworden sind. Das Gestein glänzt unwirklich in der Mittagssonne.

Auf der Schieferhalde hinter Kaub findet sich dieser schöne Aussichtspunkt.

Zehn Jahre habe er sich vorgenommen, das Projekt Bergbaumuseum voranzutreiben, sagt Radloff. Acht sind noch übrig. Man wünscht ihm, dass er Erfolg hat in dieser Zeit. Generalfeldmarschall Blücher und die Burg Pfalzgrafenstein müssen und sollten nicht die einzigen Freizeit-Highlights in Kaub bleiben.


Tipp: Auf dem YouTube-Kanal des Projekts „KuLaDig“ findet man viele spannende Videos, die neben dem Scheiferbergbau in Kaub auch die Geschichte des Freistaas Flaschenhals und andere interessante Aspekte der Kulturlandschaft behandeln.

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