Halbzeit am Mittelrhein – Eine Zwischenbilanz

Collage von Mittelrheineindrücken

Wahnsinn, wie schnell das geht. Gefühlt gestern bin ich zum ersten Mal durchs Tor der Burg Sooneck gelaufen und jetzt ist das plötzlich drei Monate her. Halbzeit. Ein guter Moment für einen kurzen Erlebnisbericht, ein paar Gedanken zu meinen Erfahrungen als Fremde hier:

Am 15. Juni durfte ich meinen Job als BUGA-Bloggerin antreten und halte mich seitdem in einem ganz neuen Lebensraum auf.
Meine Wohnung ist seither in einer Burg.
Mein Heimweg ein gewundener Weg durch Weinberge und Wald.
Wenn ich aus der Tür komme, riecht es nach Rosen und Lavendel.
Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich die Schiffe den Rhein hinauf- und hinabfahren.
Mein morgendlicher Wecker ist ein Steinbruch nebenan.
Und mein Arbeitsfeld verteilt sich auf eine Strecke von zweimal 65 Kilometern.
Mein Backofen geht nicht, weil das Stromnetz der Burg zu instabil ist, und für den Fall eines Stromausfalls habe ich mich mit Kerzen eingedeckt.
Ich bin gewandert, war in Museen, auf Türmen, an Aussichtspunkten und Ufern, in Läden, Ferienwohnungen, Burgen und Ruinen, Wäldern, Wiesen und versteckten Gassen.
Und ich habe viele Stunden im Auto verbracht zwischen Bingen und Koblenz.

Ich habe Gespräche mit Winzern und Winzerinnen, bürgerschaftlich Engagierten, einer Historikerin, einem Germanisten, einem Biersommelier, einer Burgherrin, einem Kastellan, einem Designer-Paar, einem Veranstalter, einem Fruchtkelter, dem BUGA29-Chef, einem Künstler, politisch Engagierten, Gastronom*innen und Kellner*innen, einem Kirschexperten, einem Biologen, dem BUGA-Team und den Leuten vom Zweckverband Mittelrhein geführt.

Es ging um Weinbau, um den Klimawandel und seine Folgen, es ging um die Vermittlung von Geschichte und regionaler Kultur, um die Entwicklung neuer Freizeitangebote. Um den Rhein als verbindendes und trennendes Element, um Infrastruktur, Brücken und Fähren. Um Schmetterlinge, wilde Kräuter, heimische und eingewanderte Flora und Fauna. Um Kelten, Römer, Franzosen und Preußen. Um Rheinromantik in Kunst und Literatur. Um Genuss und regionale Spezialitäten. Um Lob und Kritik an dem, was war, was ist und was noch kommen kann für das Welterbe.

Ja, die Region ist zum Teil etwas umständlich, ja, es ist teilweise ganz schön verbaut und nein, es gibt hier nicht an jeder Ecke ein hippes Café, einen Supermarkt oder einen Späti wie in der Großstadt, wo man dauernd alles bekommt, was man wollen könnte. Ja, die zwei Rheinseiten gleich intensiv zu erleben, ist nicht einfach, weil die Verbindung zu wünschen übriglässt. Ja, die wenig schöngeistigen Nachkriegsjahre haben auch im Welterbe ihre architektonischen und infrastrukturellen Spuren hinterlassen und nein, es ist manchmal nicht so leicht über das kulturelle Angebot informiert zu bleiben, weil es dutzende unterschiedliche Seiten gibt.

Aber ich sehe auch eine so wunderschöne Natur, dass es eine Freude ist, sich draußen aufzuhalten.
Ich genieße erstklassigen, charakterstarken Wein, der es verdient hätte, überregional noch viel bekannter zu sein.
Ich lerne kulinarische Spezialitäten kennen, die ich gerne auch in meiner Heimat einführen würde.
Ich verbringe Nachmittage und Abende am Rheinufer mit dem denkbar schönsten Ausblick.
Ich bewege mich in einer Landschaft, die abwechslungsreich und intensiv ist, die alle Sinne anspricht.
Ich begegne Poesie, malerischen Gassen, Fachwerk und Kopfsteinpflaster.
Ich entdecke versteckte Tante-Emma-Läden und inhabergeführte Fachgeschäfte.
Ich erfahre Gastfreundschaft und erlebe Menschen, die ihre Heimat kennen und gerne davon erzählen. Menschen, die tolle Ideen haben und sie mit großem Einsatz umsetzen.

Das alles war sehr neu für mich und ist es noch. Immer wieder war ich überwältigt von dem, was ich erlebt und erfahren habe – konnte mich irgendwann gar nicht mehr entscheiden, welche Geschichte ich als nächstes erzählen wollte. Das hatte manchmal zur Folge, dass ich tagelang nur nachgelesen und gegoogelt und gegrübelt habe, wie ich der Region vollumfänglich gerecht werden kann. Obwohl mir eigentlich klar ist, dass das in einem halben Jahr ein Ding der Unmöglichkeit ist und ich mir von Anfang an Fokusthemen ausgesucht habe. 😀

Was dahinter steckt, ist eigentlich etwas Schönes: Ich sehe hier eine Menge Potenziale, finde immer wieder etwas Neues, das mich interessiert – und es fällt mir manchmal schwer, mich dadurch nicht vom eigentlichen Weg ablenken zu lassen. Das hier ist ein toller Fleck Erde und ich freue mich auf weitere drei Monate am Mittelrhein.

Danke an diejenigen, die es möglich machen, dass ich hier den wohl ungewöhnlichsten Job ausübe, den ich je hatte: meine lieben Auftraggeber-*innen von der BUGA GmbH und all die Leute, die sich Zeit genommen haben, mir ihre Heimat näherzubringen!

Auf bald! 🙂
Eure Esther

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